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Auswandern - Habt ihr Lust? Was lässt euch zögern? Gerne - aber wie?

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Andrea:
Jeder, der sein Nest einmal verlassen hat, kann feststellen, wie schwer es ist, wieder Freundschaften aufzubauen. Ich wohne nur 70km von zu Haus weg, aber es ist mir nicht gelungen, hier ernsthafte Freundschaften aufzubauen. Das liegt mit Sicherheit auch am Job, da ich arbeite, wenn andere längst Feierabend oder Wochenende haben. Vereinsleben oder oder Kaffeeklatschrunde ist da nicht.

Und obwohl es nur 70km sind, werde ich noch heute seltsam angeschaut, wenn mit Begriffe fremd sind (Pölter, Pickert,...) und ich im Gegenzug meine gewohnten Worte nehme (Schlafanzug, Kartoffelpuffer). Oder irgendwelche Ortsteile nicht zuordnen kann. Bad Oeynhausen besteht aus sehr vielen Orten, die ehemals eigenständig waren und deren Einwohner wohnen dann eben nicht in Bad Oeynhausen sondern in Rehme, Dehme, Lohe, Babbenhausen oder Volmerdingsen. Und das sagen sie auch Leuten, die vielleicht zu Besuch aus Köln oder Augsburg sind.

Es ist sehr schwer hier Anschluss zu finden, man bleibt "die Neue", obwohl ich nun schon 17 Jahre hier lebe. Wenn die Leute davon reden, dass irgendetwas da unten am Krankenhaus ist, dann meinen sie oftmals nicht das Krankenhaus sondern den ehemaligen Standort, den ich als solchen gar nicht mehr kennengelernt habe.

Ich kann mir nur schwer vorstellen, wie das im Ausland ist. Wie käme ich auf Dauer mit der "komme ich nicht heute, komme ich morgen"-Mentalität klar? Oder dass man einfach nicht klar seine Meinung raus haut, wenn einem was nicht passt und stattdessen immer lächelt? Wie ist es mit Handwerkern, die zwar schnell und kreativ helfen, aber letztlich alles ein Provisorium bleibt? Wie ist es, wenn ich 50km fahren muss, wenn ich mit plötzlich auftretenden Bauchkrämpfen oder gar Herzschmerzen einen Arzt brauche? Wie sehr würde mir Schnee fehlen, wenn ich in den Süden gehe? Oder umkehrt das Tageslicht im Norden, wenn es im Winter kaum hell wird?

Ob ich auswandern würde? Vielleicht, aber dann vermutlich nur auf Zeit. Oder für den Winter in wärmere Gefilde.

Birgit:

--- Zitat von: Andrea am 13. Oktober 2016, 10:19:51 ---Jeder, der sein Nest einmal verlassen hat, kann feststellen, wie schwer es ist, wieder Freundschaften aufzubauen. Ich wohne nur 70km von zu Haus weg, aber es ist mir nicht gelungen, hier ernsthafte Freundschaften aufzubauen. Das liegt mit Sicherheit auch am Job, da ich arbeite, wenn andere längst Feierabend oder Wochenende haben. Vereinsleben oder oder Kaffeeklatschrunde ist da nicht.
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Es ist sehr schwer hier Anschluss zu finden, man bleibt "die Neue", obwohl ich nun schon 17 Jahre hier lebe. Wenn die Leute davon reden, dass irgendetwas da unten am Krankenhaus ist, dann meinen sie oftmals nicht das Krankenhaus sondern den ehemaligen Standort, den ich als solchen gar nicht mehr kennengelernt habe.


--- Ende Zitat ---

Liebe Andrea,

ich finde mich zu 100% hier wieder, obwohl es bei mir eher 450 km von "Zuhause" sind: 17 Jahre kommt bei mir auch hin, wobei ich zuvor in fast 5 Jahren in Chemnitz die beste und freundesreichste Zeit meines Lebens hatte und davor im Studium Münster  als meine Heimat angesehen habe.

Und ja, die Wegbeschreibungen meines früheren Chefs habe ich auch gehasst. Man merkte, dass er den Weg in Gedanken abfuhr: "das ist da, wo früher der Dr. Soundso wohnte, da biegen Sie links ab und kommen dann zu dem Bäcker, der hervorragende Eierschecke hat..."

Mit den Jahren merke ich aber nun, dass es wieder "back to the roots" gehen sollte, wozu ich leider den Allerwertesten nicht hoch bekommen habe.

Wenn ich vor einigen Jahren ab und zu mal im Norden begutachtet habe, stellte ich es am Umgang mit den Kunden fest. Hier in Thüringen wird schnell übel genommen, im Norden (oder Kunden aus dem Norden, die auch zufällig hier gelandet sind), wird dann gelacht. Die verstehen, dass eine Anmerkung in bestimmter Art und Weise sie nicht in den Grundfesten erschüttern sollte.

Und ja, wenn man bei unregelmäßigen Arbeitszeiten sich nicht superfest bestimmte Sachen vornimmt, dann wird das leider auch nichts mit regelmäßigen Treffen oder so. Und wenn ich das das eine oder andere Mal geschafft habe, ging etwas anders schief: Der Stammtisch löste sich auf, weil andere nicht mehr konnten, der Kurs wurde nicht fortgeführt, weil die Kursleiterin ein Baby bekam usw...

sh3t0r:
Es gibt sicherlich immer wieder vereinzelte Aspekte, die in anderen Ländern besser sind (so hat sich ein Cousin in den USA für ~200 Dollar ein Schneemobil gekauft um im Winter damit Touren zu unternehmen, in Deutschland ein Ding der Unmöglichkeit), aber im Großen und Ganzen geht es uns hier verdammt gut.

Wir haben eine Jahresmitteltemperatur von 10,5°, 24 Minuten Fahrzeit bis Frankreich, eine knappe Stunde Fahrzeit zu den Skipisten im Schwarzwald, und ein Großteil meines Freundes- und Familienkreises lebt hier. Daher ist Auswandern für mich nicht sooo verlockend.

Flicka:
Mir geht's ehrlich gesagt immer mehr so, dass ich durch Urlaube im Ausland Sachen in Deutschland schätzen lerne, die ich früher für selbstverständlich gehalten habe.

Und ich muss mir eingestehen, dass ich mich bisher viel weniger darum gekümmert habe, was Deutschland oder das benachbarte Ausland denn so an interessanten Zielen zu bieten hat als ich das bei der Planung einer Reise auf einen anderen Kontinent tue. Erst wenn man sich wirklich mal konkret dafür interessiert, was man denn in Deutschland an schönen Städten, tollen Landschaften und Naturparadiesen haben könnte, wird einem klar, dass man hier auch so einiges findet. Man muss sich nur mal aufraffen und sich die Sachen raussuchen, eine Reise planen und hinfahren.

Vermutlich würde ich mich bei einem Wohnsitz im Ausland auch schnell im Alltag verfangen, ähnlich wie hier, und ich würde halt nicht ständig Wochenendausflüge zu tollen Zielen machen, sondern putzen, einkaufen gehen, was in der Umgebung unternehmen und Freunde - so man sie denn in der neuen Umgebung findet - treffen.

Rainer:

--- Zitat von: Flicka am 13. Oktober 2016, 11:45:59 ---Erst wenn man sich wirklich mal konkret dafür interessiert, was man denn in Deutschland an schönen Städten, tollen Landschaften und Naturparadiesen haben könnte, wird einem klar, dass man hier auch so einiges findet. Man muss sich nur mal aufraffen und sich die Sachen raussuchen, eine Reise planen und hinfahren.

--- Ende Zitat ---

Das wird einem spätestens dann klar, wenn sich der USA Urlaub dem Ende neigt und man sich im letzten Motel verabschiedet.... Letztes Jahr in Boston (resp. letzte Nacht war in Portland, Maine) habe ich mich beim CheckOut mit der Motelmanagerin noch länger unterhalten. Die war genau anders herum gepolt als wir selbst: die war superneidisch, dass wir nach Deutschland zurück "durften", sie und ihr Mann sind totale Deutschland-Fans und würden liebend gerne nach Deutschland auswandern und wenn nicht, dann mindestens mal einen richtig langen Urlaub hier machen...

Ich glaube, das ist ein typisches Phänomen. Das ist aus irgendeinem Grund das gesteigerte Interesse an dem fernen Land, welches zumindest in der eigenen Vorstellung mehr zu bieten hat als das eigene Land. Speziell in den USA trifft man viele Einwohner, die liebend gerne nach Europa (u.a. dort insbesondere auch nach Deutschland) fahren wollen, alleine die elende Anreise stellt ein Hindernis dar (kommt mir auch bekannt vor...).

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