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Deutschland - Behindertenfeindliches Land und TUI ist tapfer mit dabei...
Silke:
--- Zitat von: Rainer am 03. August 2014, 13:04:16 ---
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 12:01:17 ---Hast du für diese Zahlen irgendwelche Belege? Ich kenne viele Leute, die einen Schwerbehindertengrad haben und den zusätzlichen Urlaub nutzen können, weil sie im Berufsleben stehen. Vielen sieht man die Behinderung ja auch nicht auf den ersten Blicke oder auch gar nicht an.
--- Ende Zitat ---
Ich meine die Behinderten mit GdB 100.
--- Ende Zitat ---
Wenn du nur die meinst, hast du sicher Recht.
--- Zitat ---Einen GdB kleiner als 100 bekommt man in der Tat oft auch dann, wenn überhaupt keine sichtbare Behinderung vorliegt. Diese Menschen haben oft auch keinerlei Kennzeichen im Ausweis und sind auch nicht auf Hilfe angewiesen, die bekommen den Schwerbiehndertenausweis wirklich nur deswegen, um eben in den Vorzug des Mehrurlaubs zu kommen. Ich selbst hatte von 1994 - 1997 auch nur einen GdB von 50 (was ausreicht für diese Regelung) und keinerlei Kennzeichen - das bekommt man nämlich auch schon grundsätzlich dann, wenn man an Krebs erkrankt ist. Es ist offensichtlich, dass diese Menschen im Sinne einer körperlichen Beeinträchtigung nicht behindert sind und es auch keine öffentlichen Anpassungen an irgendwelchen Einrichtungen bedarf, um diesen Menschen zu helfen. Das ist ein etwas eigenartiges Konstrukt, aber so ist es nun einmal.
--- Ende Zitat ---
Wieso ist das ein eigenartiges Konstrukt? Die Behinderungen werden eben nach ihrer Schwere bzw. Beeinträchtigung des Lebens gestaffelt. Das ist doch vernünftig. Es kann ja z.B. auch ein Schwerbeschädigter mit einem GdB von 80 das Merkzeichen aG erhalten.
aG: Als Schwerbehinderte mit außergewöhnlicher Gehbehinderung sind solche Personen anzusehen, die sich wegen der Schwere ihres Leidens dauernd nur mit fremder Hilfe oder nur mit großer Anstrengung außerhalb ihres Kraftfahrzeuges bewegen können.
Das können z.B. auch Schäden des Herzens und der Atmungsorgane sein, auch dann sieht man das nicht auf den ersten Blick. Und mit diesen Erkrankungen kann man andererseits auch einen GdB von 100 bekommen, auch das muss man nicht sofort sehen.
--- Zitat ---
Aber insgesamt glaube ich heute der Darstellung, dass kaum jemand mit Kennzeichen aG beispielsweise und GbB 100 wirklich einen Job hat. Die gibt es zwar, aber es sind eben nur sehr wenige.
--- Ende Zitat ---
Da wirst du Recht haben, aber es gibt sie. Bei uns im Amt arbeitet zumindest einer davon.
--- Zitat ---
Und deswegen schafft man ein Gesetz, wo ausschließlich diejenigen etwas von haben, die wirklich Geld verdienen können und mehr zur Verfügung haben, als diejenigen, die nicht das selbst können und eine lächerliche Rente bekommen? Wie pervers ist das denn??
--- Ende Zitat ---
Ich denke, dieses Gesetz hat man geschaffen, damit eben Diejenigen, die noch arbeiten können, das auch noch möglichst lange können. Um ihnen den Berufsalltag, der für sie sicher anstrengender ist als für Nichtbehinderte, etwas leichter zu machen. Finde ich nicht verkehrt.
Rainer:
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 13:29:48 ---Um ihnen den Berufsalltag, der für sie sicher anstrengender ist als für Nichtbehinderte, etwas leichter zu machen. Finde ich nicht verkehrt.
--- Ende Zitat ---
Das musst mir genauer erklären: wieso bekommt der eine Schwerbehinderte die Kosten für die "Haushaltshilfe" ersetzt, während der andere sie nicht bekommt (und dann auch noch der, der sowieso weniger Geld hat)? Was hat das mit dem Beruf zu tun? So oder so können beide den Haushalt nicht ohne fremde Hilfe führen.
Und welche "Schwerbehinderung" hat jemand, der an Krebs leidet, sich aber nach einem einmaligen Eingriff (vergleichbar mit einer Blinddarm OP) in der Heilungsbewährung befindet? Ich meine mit "eigenartig" nicht die Kombination von GdB und Kennzeichen, sondern das Prädikat "schwerbehindert" - worin besteht die Behinderung? Und warum bekommen AIDS Kranke dagegen den Ausweis erst dann, wenn nicht nur eine HIV Infektion vorliegt, sondern wirklich erste schwere Begleiterscheinungen?
Mir ist es egal, dass es so ist, aber das Konstrukt ist eigenartig und es werden Eigenschaften verknüpft, die eigentlich nicht verknüpfbar sind.
Silke:
--- Zitat von: Rainer am 03. August 2014, 13:50:13 ---
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 13:29:48 ---Um ihnen den Berufsalltag, der für sie sicher anstrengender ist als für Nichtbehinderte, etwas leichter zu machen. Finde ich nicht verkehrt.
--- Ende Zitat ---
Das musst mir genauer erklären: wieso bekommt der eine Schwerbehinderte die Kosten für die "Haushaltshilfe" ersetzt, während der andere sie nicht bekommt (und dann auch noch der, der sowieso weniger Geld hat)? Was hat das mit dem Beruf zu tun? So oder so können beide den Haushalt nicht ohne fremde Hilfe führen.
--- Ende Zitat ---
Hmm, da haben wir dann jetzt wohl etwas aneinander vorbei geschrieben. Ich meinte die zusätzlichen Urlaubstage und die Steuerermäßigung auf das Einkommen.
Dass ein Schwerbehinderter eine Haushaltshilfe ersetzt bekommt, ist mir nicht bekannt. Aber auch das würde ich nicht verkehrt finden, weil der Berufstätige natürlich noch schwerer seinen Haushalt führen kann, er ist nach der Arbeit erschöpfter und hat weniger Zeit. Das Alles natürlich nur in Grenzen, es gibt sicher Dinge, die beide nicht allein machen können.
Die wenigsten Krebspatienten haben nur einen leichten operativen Eingriff, die meisten müssen Bestrahlung oder Chemo über sich ergehen lassen. Die sind sicher eingeschränkt. Von der psychischen Belastung, ob alles wirklich überstanden ist, mal abgesehen.
Aber man wird es eben nicht allen Recht machen können. Warum bekommen z.B. Leute, die schlecht sehen können, was mit Sehhilfen aber einigermaßen ausgeglichen werden kann, keinen GdB, während Leute, die schlecht hören können, was mit Hörhilfen auch ganz gut ausgeglichen werden kann, eine Schwerbehinderung?
Und welche "Schwerbehinderung" hat jemand, der an Krebs leidet, sich aber nach einem einmaligen Eingriff (vergleichbar mit einer Blinddarm OP) in der Heilungsbewährung befindet? Ich meine mit "eigenartig" nicht die Kombination von GdB und Kennzeichen, sondern das Prädikat "schwerbehindert" - worin besteht die Behinderung? Und warum bekommen AIDS Kranke dagegen den Ausweis erst dann, wenn nicht nur eine HIV Infektion vorliegt, sondern wirklich erste schwere Begleiterscheinungen?
Mir ist es egal, dass es so ist, aber das Konstrukt ist eigenartig und es werden Eigenschaften verknüpft, die eigentlich nicht verknüpfbar sind.
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Rainer:
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 14:47:14 ---... und die Steuerermäßigung auf das Einkommen.
--- Ende Zitat ---
Die meine ich auch.
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 14:47:14 ---Dass ein Schwerbehinderter eine Haushaltshilfe ersetzt bekommt, ist mir nicht bekannt.
--- Ende Zitat ---
Das ist ein wesentlicher Bestandteil, die sind alle irgendwie zweckgebunden. Wobei ja nicht die Hilfe "ersetzt" wird, man bekommt die Einkommenssteuer (pers. Spitzensatz) darauf zurück (was zugebenermaßen auch nicht die Welt ist), die erlaubte Obergrenze wird durch den GdB bestimmt. Ich habe Höchstgrenze, ich kann (glaube ich... das macht schon so lange meine Software) bis zu 2.800,-€ pro Jahr angeben (das muss allerdings per Rechnung belegt werden).
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 14:47:14 ---Aber auch das würde ich nicht verkehrt finden, weil der Berufstätige natürlich noch schwerer seinen Haushalt führen kann, er ist nach der Arbeit erschöpfter und hat weniger Zeit.
--- Ende Zitat ---
Zum einen geht es wirklich um die vielen Dinge, die man als Schwerbehinderter nicht machen kann (das ist eigentlich so ziemlich alles, ein Rollstuhlfahrer kann nicht einmal Staub saugen oder so - das geht einfach alles nicht mehr). Und das ist nur die Haushaltshilfe - das hat noch nichts mit Pflege zu tun.
Außerdem finde ich das überhaupt nicht selbstverständlich, dass ein Berufstätiger Mensch irgendwie angestrengter ist. Im Gegenteil, ich bin überzeugt, dass es ein großes Glück ist, wenn man überhaupt arbeiten kann. Die Vorstellung, dass Schwerbehinderte eben nur faul herumhängen, trifft den Alltag nicht. Es ist alles extrem beschwerlich, es ist unbefriedigend, man ist einsam, kommt sich überflüssig vor, man wird depressiv und vieles mehr - das ist sicherlich (auf seine Weise) genauso erschöpfend und anstrengend wie ein Beruf, in dem man dann auch Anerkennung und auch Anschluss findet.
Das ist auch die eigenartige Vorstellung, naja, so ein Rollstuhlfahrer sitzt doch prima den ganzen Tag. Was für unendliche Quälerei das ist (ich habe auch immerhin 4 Jahre im Rollstuhl gesessen), da macht man sich als Gesunder keine Vorstellung von. Das ist pure Folter, da tut Dir alles weh, was nur weh tun kann.
Nein, das steuerbasierte System (was ja nicht nur bei Schwerbehinderten zur Anwendung kommt), ist nicht gerecht und nicht vertretbar, sehr wohl leider sehr verbreitet. Aber es profitieren prinzipbedingt immer diejenigen am meisten davon, die es eigentlich am wenigsten nötig haben.
--- Zitat von: Silke am 03. August 2014, 14:47:14 ---Die wenigsten Krebspatienten haben nur einen leichten operativen Eingriff, die meisten müssen Bestrahlung oder Chemo über sich ergehen lassen.
--- Ende Zitat ---
Nein, das stimmt ganz sicher nicht, das ist so die ängstliche Volksmeinung. Glücklicherweise haben sehr viele Krebspatienten NUR einen operativen Eingriff und sind danach geheilt, das ist ja gerade der Sinn und der Erfolg der Früherkennung. Das hängt vom Staging ab, welches Tumorstadium vorliegt, welcher Typ, welche Größe, Ausbreitung, Lymphknotenbefall usw. und sehr viele Patienten werden in einem Stadium behandelt, welches keinerlei weiteren Behandlungen erfordert. Das sollte bei mir damals auch so sein - aber ich hatte Pech, nach drei Jahren war der Krebs wieder da. Selbstverständlich ist die Einstufung der Behinderung sicherlich basiert auf der Tatsache, dass einige Patienten eine Chemo oder Bestrahlung machen müssen, deren Erfolgschancen sind allerdings in aller Regel schlechter. Nichtsdestotrotz bekommen alle Patienten auf Antrag den Schwerbehindertenausweis mit GdB 50. Unabhängig vom Stadium.
Ich finde es nur so seltsam, dass das über den Schwerbehindertausweis geregelt wird, man kann das ja im Sozialgesetz auch anders verankern. Das führt nämlich genau zu diesen irrwitzigen Situationen, dass ein körperlich völlig unbehinderter Mensch einen Schwerbehindertenparkplatz belegt (was ich schon sehr oft gesehen habe), legt seinen Ausweis in das Fenster und ist dann noch stinkig, wenn er verwarnt wird und eine Geldbuße zahlen muss - man ist doch schwerbehindert?! Nichtsdestotrotz leuchtet doch jedem ein, dass der keinesfalls auf so einen Parkplatz angewiesen ist.
DocHoliday:
Zu ein paar Punkten will ich auch noch meinen Senf geben.
GdB bzw. MdE (Minderung der Erwerbsfähigkeit) bei Krebserkrankungen:
Durch den Grad der Behinderung von 50 erlangt der Betroffene zunächst mal einen verbesserten Kündigungsschutz, was ich absolut sinnvoll finde. Mit Parkausweis, Haushaltshilfe, etc. hat das gar nichts zu tun. Wer mit einem GdB von 50 auf einem Behindertenparplatz parkt, tut das im Wissen, dass er das nicht darf und hofft allenfalls durch den Behindertenausweis auf dem Armaturenbrett straffrei davon zu kommen.
Der Anteil von Menschen mit einem GdB von 100 ist sicherlich höher als 5%. Die Aussage von Rainers Ärzten in der BGU bezog sich wahrscheinlich auf Unfallopfer, die im Rollstuhl landen.
Ein großer Teil meiner Patienten hat ebenfalls einen GdB von 100 (Dialyse plus andere Krankheiten). Von denen im erwerbsfähigen Alter arbeiten aber sich mehr als ein Drittel oder suchen zumindest Arbeit.
Natürlich muss das Behindertengesetz ganz verschiedene Sachverhalte abdecken, von geistig Behinderten über Gehbehinderte/Rollstuhlfahrern, Amputierten, Blinden, Gehörlosen bis hin zu Behinderungen aufgrund von internistischen Erkrankungen (wie Dialyse und Krebs). Dass es dabei durchaus verschieden schwere Krankheitsbilder gibt, die mit dem gleichen GdB abgebildet werden, liegt in der Natur der Sache, ist aber m.E. gar kein Problem. Der Versuch, jedem individuellen Krankheitsbild gerecht werden zu wollen, würde zu riesigem Aufwand, endlosen Begutachtungen und einer Menge Bürokratie und Geldverschwendung führen. Deshalb gibt es halt die "Anhaltspunkte für die ärztliche Gutachtertätigkeit", in denen für typische Krankheitsbilder definierte Werte für den GdB festgelegt werden. Im Ermessen des Gutachters liegt es dann, wie aus den Einzel-GdBs ein Gesamtwert ermittelt wird.
Aufgrund der völlig verschiedenen Krankheits-/Schadens-Bildern werden dabei natürlich ganz unterschiedliche Zustände mit dem gleichen GdB bezeichnet. Dem einen sieht man seine Behinderung dabei sofort an, dem anderen nicht. Man sollte als behinderter nicht damit anfangen, sich gegeneinander ausspielen zu lassen. So nach dem Motto: "Ich bin aber behinderter als Du!"
Den Ansatz von Rainer, dass Leistungen mehr in direkten Zahlungen als in Steuervorteilen geleistet werden sollten, halte ich für richtig und wichtig. Um bei dem Beispiel zu bleiben,kostet die Haushaltshilfe ja immer gleich viel, egal ob man 100.000€ im Jahr verdient oder eine Mini-EU-Rente bekommt.
Außerdem sollte es meines Erachtens deutlich schwieriger sein, sich von der Verpflichtung frei zu kaufen, Schwerbehinderte zu beschäftigen. Statt nur ein paar Euro zu bezahlen sollte man nachweisen müssen, warum es nicht möglich ist, einen solchen Arbeitsplatz zu schaffen bzw., dass es trotz entsprechender Suche nicht möglich war, diesen Arbeitsplatz zu besetzen.
Schwierig wird es sicherlich bei der Verpflichtung von Privatunternehmen, z.B. Behindertentoiletten vorzuhalten. Ich denke, in dem Bereich käme evtl. man mit entsprechenden staatlichen Subventionen weiter. Und sobald staatliche Subventionen fließen, sollte Barrierefreiheit ohnehin eine Selbstverständlichkeit sein.
Ein paar schöne Beispiele für die Gedankenlosigkeit von Firmen und Ämtern gegenüber Behinderten findet man übrigens hier:
Betonkopf
Preis des Behindertenverbands Brandenburg für besondere Behinderten-Unfreundlichkeit.
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