Allgemeines > Mitglieder-Talk & Sonstiges

Deutschland - Behindertenfeindliches Land und TUI ist tapfer mit dabei...

<< < (2/9) > >>

Andrea:
Hammer! Unfassbar!

Die Idee von Horst finde ich hervorragend. Seitdem ich Rainer kenne, achte ich tatsächlich noch mehr auf Barrierefreiheit (beruflich habe ich aber auch öfters mal mit Rollifahrern, Rollatornutzern oder sehbehinderten Menschen zu tun). Behinderte liegen mir schon seit meiner Kindheit irgendwie am Herzen, aber so richtig engagiert habe ich mich leider noch nie. Und dabei wollte ich mit 14 noch Sonderpädagogik studieren....

Ich plane ja gerade einen Schottlandurlaub und habe diese Seite hier gefunden: http://www.schottland-fuer-alle.com/1.html
Ich habe noch nicht näher hingeschaut, aber bisher habe ich selten Reiseseiten gefunden, die auf Leute mit Handicap spezialisiert sind.

Rainer, nun ist Schottland im Oktober vielleicht nicht so toll, aber von Juni-September ganz sicher! Obwohl es ja nicht unbedingt die Highlands sein müssen...

Rainer:

--- Zitat von: DocHoliday am 01. August 2014, 23:34:08 ---Aber wo wir gerade beim Thema sind: Ist denn das Forum/das Portal Eumerika.de barrierefrei nach BITV?

--- Ende Zitat ---

Keine Ahnung - der Anforderungskatalog ist ziemlich komplex und man müßte die Punkte einzeln durchgehen. So oder so habe ich keinen Einfluss darauf, das ist ein Script von SMF (das ist der einzige Inhalt, den wir zur Zeit anbieten), die müßten im Prinzip überprüfen, ob sie die Kriterien nach WCAG erfüllen.

Auf Grund der besonderen Problematik, dass hier auch noch freie Anwenderinhalte eingestellt werden (die teilweise auch mit HTML durch die Teilnehmer selbst gestaltbar sind), ist eine 100%-ige Konformität sicherlich ohnehin nicht erzwingbar, dazu müßten die Anwender ja selbst auch wissen, nach welchen Richtlinien sie ihre Beiträge verfassen. Es gibt leider auch keine "Syntaxchecker" wie beispielsweise bei den W3C Richtlinien für korrektes HTML, da viele Dinge einfach semantisch ausformuliert sind, ohne dass es eine technische Möglichkeit gibt, das im Source zu überprüfen.

Im Grunde gesehen müßte man Blinde befragen, ob die mit ihren Vorlesemaschinen hier zurechtkommen. Ich würde vermuten, dass es sicherlich nicht komplett ungeeignet ist, aber ob es wirklich komplett barrierefrei ist - weiß ich nicht. Ich hatte in der ReHa einen blinden Masseur, mit dem habe ich mich auch öfter darüber unterhalten, welche speziellen Probleme er wann hat, aber das ist so ohne weiteres nicht nachvollziehbar.

Was die Idee von Horst betrifft:

das ist natürlich im Ansatz immer eine gute Idee, aber ich weiß aus leidvoller jahrelanger Erfahrung, dass das nicht so einfach umzusetzen sein wird. Das Problem ist immer (und das sehen wir ja auch schon an der Frage nach der Barrierefreiheit, wobei das zugebenermaßen noch erheblich komplexer ist), dass gesunde Menschen schlecht bis gar nicht wahrnehmen und beurteilen können, was in welchem Maße "machbar" ist und was nicht. Das ist einfach in der Materie begründet, man kann sich als gesunder Mensch selbst bei gutem Vorstellungsvermögen nicht in die Lage eines Behinderten versetzen. Und entsprechend geht man auch mit einer anderen Wahrnehmung durch das Leben. Das ist kein Vorwurf, ich war ja selbst bis zum 38. Lebensjahr gesund und munter und habe selbst sicher auch nichts bemerkt.

Erst wenn man selbst betroffen ist, dann gehen einem buchstäblich die Augen auf. Man sieht und registriert Dinge, wo gesunde Menschen nachher sagen würden, ne, das war so nicht. Und selbst wenn man sich einen gewissen Blick dafür antrainiert hat - man muss sich sicherlich extrem bemühen und konzentrieren, um nicht doch irgendein blödes Detail übersehen zu haben. Wer behindert ist, nimmt das unmittelbar sofort wahr. Der sieht seine Umwelt in einem ganz anderen Licht.

Von daher stellt sich mir die praktische Frage, wie können wie diese im Moment noch sehr abstrakte Idee in Taten umsetzen? "Brainstorming" wurde das in der Firma immer genannt. Denn "einfach so" wird das nicht gehen.

Was die Behinderung und die Behinderten an sich betrifft: es liegt ja schon in der Materie begründet, man spricht von "den Behinderten". Das ist irgendwie eine fest definierte Gruppe innerhalb unserer Gesellschaft. So ist es in den Köpfen und genau das ist das Problem. Es gibt keine Gruppe "die Behinderten". Denn das sind wir selbst - alle. Auch die, die es vermeintlich nicht sind. Denn (und das ist das Tückische) es kann jeden treffen - sofort und mit endgültiger Wirkung. Mit einem Schlag ist man nicht mehr Teil der Gruppe der normalen Menschen, man ist ein Mitglied der Gruppe der Behinderten. Auf einmal ist man in der Gesellschaft nicht mehr der gleiche Mensch (obwohl man es eigentlich ist). Und jeder denkt tief in seinem Inneren: das trifft nur andere, das sind halt "die Behinderten". Niemand kann sich vorstellen, dass es ihn selbst auch trifft. Dabei sind fast alle Behinderten auch einmal gesund gewesen. Bis sie irgendwann einen Unfall hatten, oder (was sogar die deutliche häufigere Ursache ist) einer schweren Krankheit zum Opfer gefallen sind, eine Krankheit, die ja auch immer nur die anderen bekommen.

Und dieses getrennte Gruppendenken, das bekommen wir nicht aus den Köpfen heraus. Eigentlich müssen wir versuchen, eine Behinderung als etwas Selbstverständliches und normales und Teil unserer Gesellschaft anzuerkennen und mit diesen Menschen genauso leben und umgehen, wie mit nicht behinderten Menschen. Dass wir in Deutschland Lichtjahre(!) davon entfernt sind, zeigt beispielsweise dieser Bau des Flussschiffs TUI Sonata. Das hätte eigentlich so nie gebaut werden dürfen, weil es nur für einen Teil unserer Gesellschaft benutzbar ist, andere Teile sind ausgeschlossen. Was so besonders schrecklich daran ist: es wäre so einfach gewesen, das umzusetzen. Ich bin ja keiner der "radikalen Behinderten", die für sich alles einfordern, was auch die anderen machen können. Ich sehe ja ein, dass man ein altes Bauwerk nur unter extremen Kosten so verändern kann, dass es auch für Rollstuhlfahrer befahrbar ist, inkl. Toilette. Ich habe ja kein Problem damit, dass manche Dinge historisch gewachsen sind, ich muss nicht alles können in meinem Leben, es bleibt genügend übrig, was ich sonst tun kann.

Aber wenn da etwas neu gebaut wird und dann auch noch etwas so bewährtes, etwas so einfaches wie ein Kreuzfahrtschiff (derer es massenhaft wirklich behinderengerechte Ausführungen auf hoher See gibt), wie ignorant und dumm muss man sein, wenn man dann immer noch "vergisst", Aufzüge einzubauen und wenigstens ein oder zwei Zimmer mit einer ebenerdigen Dusche zu versehen und mit etwas mehr Raum zum Rangieren? Das ist mir vollkommen unbegreiflich. Das ist schon vorsätzlich und boshaft. Anders kann ich es nicht interpretieren, da sind die Behinderten wieder genau diese "andere Gruppe" und diese Gruppe ist unerwünscht. Das ist schlicht ekelhaft.

Paula:
Rainer ich gebe dir vollkommen recht wobei ich das alles fast nicht glauben kann.
Wenn ich einer gefragt hätte würde ich sagen natürlich muss so ein Schiff behindertengerecht ausgestattet sein, das ist doch gesetzlich vorgeschrieben! Das hatte ich wirklich geglaubt!

Rainer kennst du dich mit den diesbezüglichen Gesetzen aus? Ich finde das solltest du nicht einfach so hinnehmen, gibt es keine Beschwerdestelle? Das kann doch wirklich nicht wahr sein bei einem Schiff aus diesem Jahrtausend.
Und was heißt da es fährt unter der Flagge von Malta? Das ist doch EU Gebiet, das ist doch kein Drittweltland. Ich kann es wirklich kaum fassen.

Ich kenne die Problematik von einem Bekannten der durch eine Erkrankung lange schon auf einem Auge blind ist und nun akut auf dem zweiten auch fast nix mehr sieht. Er hat mal geschildert wie er im Alltag mit seinen Mitmenschen zusammenrumpelt weil die mehr auf ihr Mobilgerät starren statt auf die Umwelt. Seither bemühe ich mich in der U Bahn besser aufzupassen ich gehöre nämlich auch zu diesen iPadhinterherlaufern  :-[

Rainer:

--- Zitat von: Paula am 02. August 2014, 23:55:02 ---Rainer kennst du dich mit den diesbezüglichen Gesetzen aus?

--- Ende Zitat ---

Ja, die Lage ist einfach: in Deutschland gibt es keine Gesetze. Jedenfalls keine, die vorschreiben, dass irgendwelche Schiffe, Flugzeuge, Bahnen, Busse oder Gebäude, egal ob öffentlich(!) oder privat in irgendeiner Weise auch nur annähernd für Behinderte geeignet sein müssen. Das ist Deutschland und der deutsche Beitrag für Behinderte von Gesetzesseite.


--- Zitat von: Paula am 02. August 2014, 23:55:02 ---Ich finde das solltest du nicht einfach so hinnehmen, gibt es keine Beschwerdestelle?
--- Ende Zitat ---

"Beschwerdestelle"? Ne - wo denn, bei wem denn? Behindere haben keine Lobby in "Dunkeldeutschland". Ich habe das ernst gemeint mit "Behindertenfeindlich". Deutschland ist ein behindertenfeindliches Land, was in Gesetzgebung und entsprechenden Vorschriften weit hinten liegt. Selbst in Spanien gibt es Gesetze, dass Hotel bestimmte Auflagen erfüllen ermüssen. In Deutschland gibt es nichts dergleichen. Und zwar gar nichts.


--- Zitat von: Paula am 02. August 2014, 23:55:02 ---Das kann doch wirklich nicht wahr sein bei einem Schiff aus diesem Jahrtausend.
--- Ende Zitat ---

Das habe ich auch bis gestern gedacht.

 

--- Zitat von: Paula am 02. August 2014, 23:55:02 ---Das ist doch EU Gebiet, das ist doch kein Drittweltland. Ich kann es wirklich kaum fassen.
--- Ende Zitat ---

Deutschland ist ganz sicher Drittweltland, was gesetzliche Vorschriften betrifft, um Behinderte im Alltag zu integrieren.

Eine passende Schote dazu: bei uns in Mönchengladbach ist die Stadtverwaltung auf verschiedene Gebäude und Bereiche aufgeteilt. Das Amt für Schwerbehindertenangelegenheiten (Ausgabe des blauen Parkausweises gegen Vorlage eines mit den notwendigen Merkmalen versehenen Behindertenausweis) befindet sich in einem Gebäude, welches explizit NICHT für Rollstuhlfahrer geeignet ist... (kein Scherz!).

Am Düsseldorfer Flughafen ist der Lounge Bereich umgebaut worden, die Hugo Junkers Lounge hat einen neuen Sanitärbereich bekommen (größer und moderner). Anzahl Behindertentoiletten: NULL!

Usw. etc. pp. - es gibt unzählige Beispiele deutscher Ignoranz für die Bedürfnisse von Behinderten. Und Herr Schäuble, auf dessen Behinderung sicherlich auch einige Hoffnungen lagen, hat einen speziellen Sitzplatz im Bundestag bekommen und außerdem drei Bodygards, die ihn aus dem Auto in den Rollstuhl setzen und zurück. Für die "normalen" Behinderten hat sich sonst nichts geändert.

Andreas:
Das mit den Flusskreuzfahrtschiffen ist aber kein Geheimnis:

--- Zitat ---Besonders heikel wird es auf den zwangsläufig eher engen und kleinen Flusskreuzfahrtschiffen. Wirklich komplett behindertengerecht ist derzeit nur eins: Die "Alegria" des holländischen Anbieters Adelle Cruises hat Anfang 2012 dafür vom Verein Aktive Behinderte Stuttgart (ABS) den Award "Goldener Rollstuhl" verliehen bekommen.
--- Ende Zitat ---

http://www.spiegel.de/reise/aktuell/barrierefreie-kreuzfahrt-nicht-alle-schiffe-sind-behindertengerecht-a-920524.html

Navigation

[0] Themen-Index

[#] Nächste Seite

[*] Vorherige Sete

Zur normalen Ansicht wechseln