Autor Thema: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?  (Gelesen 5281 mal)

Flicka

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 1573
Im kürzlichen Andalusienurlaub bin ich wie üblich mit meiner DSLR unterwegs gewesen, wenn auch "nur" mit dem Standardzoom. Meine Reisebegleiterin "Elsa" hatte keinen Fotoapparat dabei und hat mir irgendwann sinngemäß erklärt, sie hätte früher im Urlaub viel fotografiert, aber irgendwann gemerkt, dass sie sich dann aufs Fotografieren konzentrieren würde und die Sehenswürdigkeiten nicht so intensiv erleben würde.

Vorausgesetzt, ich kenne meine Kamera und kann sie mit der gebotenen Routine bedienen, kann mir meine Zeit frei einteilen und muss nicht einer Reisegruppe hinterherhecheln, sehe ich es eher umgekehrt. Ich schaue mich aufmerksamer um, achte auch mehr auf lohnenswerte Details, warte oft auch einfach mal in Ruhe ab, bis eine Reisegruppe durch einen Hof geschleust wurde und ich freien Blick habe oder sich die Lichtverhältnisse bessern usw. Und nach dem Urlaub verblassen die Erinnerungen nicht so schnell, wenn man sie mit Fotos wieder auffrischen kann.

Oder ist das alles Quatsch und man stolpert tatsächlich nur nach der Suche nach einem lohnenswerten Motiv durch die Sehenswürdigkeiten und lässt den Rest links liegen? Hat hinterher zwar massenhaft Fotos, weiß aber überhaupt nicht, was man da eigentlich fotografiert hat? Erlebt Tiersichtungen nicht mit dem eigenen Auge, sondern nur durch die Objektivlinse? Lädt die Bilder auf die Festplatte oder verarbeitet sie im Fotobuch und schaut dann doch nicht wieder hinein?

Was meint ihr?

Silvia

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 2537
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #1 am: 27. März 2015, 16:17:38 »
..... sehe ich es eher umgekehrt. Ich schaue mich aufmerksamer um, achte auch mehr auf lohnenswerte Details, warte oft auch einfach mal in Ruhe ab, bis eine Reisegruppe durch einen Hof geschleust wurde und ich freien Blick habe oder sich die Lichtverhältnisse bessern usw. Und nach dem Urlaub verblassen die Erinnerungen nicht so schnell, wenn man sie mit Fotos wieder auffrischen kann.

Da bin ich der gleichen Meinung. Wobei ich auch schon andere Extreme kennengelernt habe von denen ich behaupte das sie wirklich einfach nur massenhaft Fotos gemacht haben (noch schlimmer geworden in Zeiten der Digitalkameras) - frei nach dem Motto einfach draufhalten und draufdrücken.


Oder ist das alles Quatsch und man stolpert tatsächlich nur nach der Suche nach einem lohnenswerten Motiv durch die Sehenswürdigkeiten und lässt den Rest links liegen? Hat hinterher zwar massenhaft Fotos, weiß aber überhaupt nicht, was man da eigentlich fotografiert hat? Erlebt Tiersichtungen nicht mit dem eigenen Auge, sondern nur durch die Objektivlinse? Lädt die Bilder auf die Festplatte oder verarbeitet sie im Fotobuch und schaut dann doch nicht wieder hinein?

Ich für meinen Teil kann das glaube ich gut verneinen, denn ich liebe es meine alten Fotos von den Reisen durchzublättern und das sind inzwischen jede Menge geworden. Noch besser ist es sie mit den "Reisetagebüchern" zusammen durchzugehen, da kommen viele sehr schöne Erinnerungen wieder hoch.

Gerade wenn ich z.B. an die Bärenmutter letztes Jahr denke. Die Fotos sind ja nur ein Sekundenbruchteil ... der ganze Ablauf der ist nach wie vor in meinen Erinnerungen "gespeichert" und werden mit den Fotos "abgerufen".


serendipity

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 2257
    • erleben-sehen-genießen
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #2 am: 28. März 2015, 20:33:08 »
Ich sehe es ebenfalls so wie ihr, glaube auch nicht, dass man durchs Fotografieren den Blick fürs Gesamte verliert oder weniger intensiv erlebt.

Ich bin in der Familie ja die einzige, die ein wenig fotografiert und oft war es später beim Anschauen der Fotobücher so, dass Peter oder Jan gesagt haben: Wo war das denn, das habe ich gar nicht gesehen?

Und - ich liebe unsere Fotobücher und selbst die Fotos auf der Festplatte und schaue sie mir in unregelmäßigen Abständen immer wieder an, vorzugsweise wenn Reisen noch weit weg sind, schlechtes Wetter ist und ich Fernweh habe! :)

Paula

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 4690
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #3 am: 28. März 2015, 22:35:42 »
Für mich sind Fotos auch ganz wertvolle Erinnerungsstützen. Ich merke gerade beim Durchsehen meiner Urlaubsfotos dass mir einfällt was zum Beispiel in unmittelbarer Nähe eines Fotos zu sehen war. Dagegen sind mir Bilder völlig entfallen von Orten wo ich keine Fotos gemacht habe. An einem Tag war schlechtes Wetter da habe ich im Hotel keine Fotos gemacht. Da kann ich mich an des Zimmer noch dunkel erinnern, an den Frühstücksraum aber gar nicht und das ärgert mich.
In den zwei Wochen haben wir soviel gesehen und jeden Tag was Neues dass ich einen totalen Bilderowerflow hatte. Ohne Fotos würde ich viele Bilder vergessen und das fände ich sehr schade.

Ganz anders ist die Situation aber wenn es ums Filmen geht. Vor ein paar Jahren habe ich mir eine Videokamera gekauft. Und da ist es dann schon so dass man fünf Minuten oder länger in den kleinen Kamerabildschirm schaut statt in die Landschaft und da bleibt man aber nicht doppelt so lange stehen damit man den Naturgenuß auch noch hat. Das Filmen habe ich daher weitgehend aufgegeben (die Kamera hat den Geist nach fünf Jahren aufgegeben) wenn ich filme dann mittlerweile mit dem iPhone, da schaue ich kurz in den Bildschirm und halte es dann weiter hin ohne es groß zu beachten und schaue in die Landschaft. Weil das Teil so klein und leicht ist geht das wunderbar und die Qualität ist für einen Urlaubsfilm mehr als ausreichend. So habe ich die Wasserspiele am Bellagio gefilmt ohne auf das Display zu schauen. Und der Film ist gut geworden. Eine Videokamera werde ich mir nicht mehr kaufen.
Viele Grüße Paula

Flicka

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 1573
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #4 am: 29. März 2015, 08:13:34 »
Fotos als Erinnerungsstützen wollte Elsa im Urlaub durchaus ganz gerne gemacht haben. Meine Fotos eben.  ;) Ich denke, sie fand es ideal, nicht fotografieren zu müssen, aber trotzdem hinterher Fotos zu haben.

Was ich selbst gemerkt habe: Ich kann nicht ohne weiteres Fotos machen und gleichzeitig mit einem Audio-Guide hantieren, den man mit der Hand ans Ohr halten muss. Bei einem von beiden verliere ich dann die Geduld.

Bei Tiersichtungen bin ich mir selbst nicht sicher: Einerseits möchte man solche Situationen ungefiltert genießen, und man kann ja nicht die Bärenmutter oder den Wal bitten, die Szene zweimal zu spielen, einmal für die Kamera und einmal fürs bloße Auge. Andererseits geht es mir auch so, dass ich Sachen, die ich nicht fotografiere, bei der Flut der neuen Eindrücke eines Urlaubs leicht vergesse. Vielleicht sollte man sich hier einfach bewusst ein Limit setzen, z.B. bei einer Walbeoachtungstour nur eine gewisse Zeit lang fotografieren und den Rest einfach bewusst ohne Kamera genießen, auch wenn einem da vielleicht tolle Motive durch die Lappen gehen.

Silv

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 1864
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #5 am: 29. März 2015, 15:43:20 »
Ich schaue mir meine Fotobücher auch immer wieder an und oft fällt mir dann zu einem Foto noch etwas ein, was so "drumherum" war.

Speziell Motive "suchen" tu ich auch nicht, wenn es mir irgendwo oder irgendwas gut gefällt, dann mach ich ein Foto davon.

Und mit "fremden" Urlaubsfotos wollte ich kein Fotobuch haben. Denn ich habe die Motive ja nicht unbedingt so gesehen, wie mein Mitreisender.
Liebe Grüße
Silvia

Birgit

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 2833
  • Eumerikasia!
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #6 am: 29. März 2015, 19:07:52 »
Ich überlege gerade hin und her und sehe das Ganze ziemlich zwiegespalten:

Gestern war ein Tag mit Sehenswürdigkeiten, in denen ich leider nicht fotografieren durfte, und zwar gleich viermal nacheinander. Ich habe die ganze Zeit in der Seidenfabrik, der Sandelholzölfabrik, dem Mysore-Palast und einer anderen Mansion bedauert, dass ich die vielen Schönheiten und Kuriositäten nicht ablichten durfte, es wäre ja soooo schön für den Reisebericht gewesen, und außerdem hatte ich echt Angst nicht zum Schreiben zu kommen und dadurch vieles zu vergessen.

Auf der anderen Seit habe ich bei der Tigersafari den Tigerpopo kaum echt wahrgenommen, weil ich nur mit dem misslungenen Versuch befasst war, ihn für immer festzuhalten. Erst auf dem Display des Cholerikers vor mir, der offenbar die ganze Welt ausschließlich durchs Objektiv betrachtete und sich gebärdete, als ob er den Tiger erlegt habe, habe ich erst gesehen, dass es doch nicht nur ein Inder im Plüschfell war.

Für mich das Fazit: Ohne Fotos will ich einfach nicht mehr, denn wenn ich immer wieder mal die Reiseberichte lese, die ich verfasse, dann freue ich mich über die sprachliche und bildliche Dokumentation. Für den gestrigen Tag allerdings müssen über weite Strecken Bilder mit Worten reichen...

Flicka

  • Held Mitglied
  • *****
  • Beiträge: 1573
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #7 am: 29. März 2015, 19:43:43 »
Ich denke, da kommen wir wieder an den Punkt, den ich oben auch schon angesprochen habe. Wenn es nicht um Gebäude oder Gärten geht, die an Ort und Stelle bleiben, so dass man sie sehen UND fotografieren kann, sondern um einzigartige kurze Momente, bei denen nur Sehen ODER Fotografieren möglich ist, was möchte man dann haben? Den ungefilterten Blick oder das Erinnerungsfoto?

Na ja, zum Glück sind die meisten Motive leichter zu handhaben als ein Tiger oder ein Inder im Tigerfell.  ;) Ich bin gerade dabei, die Andalusienfotos zu sichten, und da habe ich schon einiges entdeckt, was sonst wieder in Vergessenheit geraten wäre. Ich werde also weiter fleißig fotografieren und im Zweifel lieber zuhause nachlesen, welcher Yusuf und welcher Mohammed in welchem Raum als Innenarchitekt gewirkt hat.

Kauschthaus

  • Vollwertiges Mitglied
  • ***
  • Beiträge: 151
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #8 am: 29. März 2015, 20:49:36 »
Da ist absolut was dran, was deine Freundin Elsa sagte.

Es geht natürlich nicht um den Extremkonflikt "das absolute Erleben und dafür keine oder wenige Fotos oder umgekehrt", aber ich habe - nur für mich - schon einige Male festgestellt, das der ständige Blick durch das Fotoobjektiv für das absolute Erleben etwas hinderlich war.

Ich sage das als Urlaubs Hobby Knipserin, die keinerlei Anspruch an Fotos hat, als das sie einigermaßen ansehbare Urlaubsfotos sind.

Ich kann mich aber gut an einige Situationen erinnern, wo ich bewusst den Foto weggelegt habe, weil es mir selbst auf den Senkel ging, das Szenario nur durch den Foto zu sehen.
Im Yellowstone NP gab es so viele herrliche Motive, dass wir irgendwann abgeschaltet haben und unsere eigenen Augen benutzt haben.
Ebenso auf einem Helikopterflug über den Bryce Canyon vor vielen Jahren. Da war es besonders heftig, weil er halt zeitlich auf 20-30 min. begrenzt war.
Das gleiche auf dem Rockefeller Center oder anderen Aussichtspunkten, egal ob Städte oder Natur. Man fotografiert und schaut und tut und macht. Aber es ist auch total schön, das alles zu vergessen und einfach nur die Aussicht zu genießen.

Wie gesagt, es geht nicht um "keine Fotos" oder "Fotos über alles". Aber den Foto mal ganz vergessen und nur schauen ist sehr empfehlenswert.

Viele Grüße, Petra
Seit ich das Wort Dings kenne, kann ich alles erklären.

Gipsy

  • Jr. Mitglied
  • **
  • Beiträge: 95
Re: Erlebt man Urlaubsziele weniger intensiv, wenn man fotografiert?
« Antwort #9 am: 30. März 2015, 13:45:59 »
Ich sehe mir meine Fotos auch immer wieder an. Das geht meist ganz automatisch, da ich mir für Windows einen wechselnden Desktophintergrund mit eine Fotoslideshow eingerichtet habe, die alle 2 Stunden ein neues Bild anzeigt.

Wenn ich unterwegs bin, ist die kleine Knipse meist bereit. Aber natürlich schaue ich nicht nur durch den Sucher. Aber ich habe schon festgestellt, dass ich auch dann, wenn ich ohne Foto unterwegs bin, die Landschaft und Gebäude mit den Augen eines Fotografen betrachte und auch auf kleinere Details achte.
Trotzdem brauche ich bei längeren Reisen auch die Erinnerung mit Fotos. Das hält auch die Erinnerung an Gefühle und sogar Gerüche wach, die sonst schon seit Jahren verloren wären. Ich habe da ein Foto von einem Hasen am Canyon de Chelly, als außer mir kein Mensch sonst weit und breit zu sehen war. Als dann hinter mir plötzlich ein Rascheln war, bin ich doch erschrocken und war ganz erleichtert, als sich das Häschen gezeigt hat. Solche Kleinigkeiten gehen in der Fülle einer mehrwöchigen Reise bei mir ohne Foto leider verloren. Aber es sind doch diese kleinen Begegnungen, die zu einem schönen Tag beitragen.

Ist ein Erlebnis mit oder ohne Fotografieren intensiver?
Wenn ich den Foto kenne und alle Einstellungen bereits gemacht sind, so dass ich nur noch das Motiv fixieren und abdrücken muss, sind für mich die direkten Eindrücke wohl mit oder ohne Fotografieren gleich intensiv. Eine Erinnerung ist aber mit Fotografieren - aber nur mit eigenen Fotos - wesentlich intensiver als ohne Fotos oder mit Fotos, die jemand anderes gemacht hat.
Viele Grüße

Gipsy