Autor Thema: Brexit - und nun?  (Gelesen 4865 mal)

Andrea

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Brexit - und nun?
« am: 08. Oktober 2016, 12:06:28 »
Im Juni 2016 haben die Briten mehrheitlich für einen Austritt aus der EU gestimmt. Viele hat es sehr überrascht. Lange Zeit sah es nun so aus, als ob die britische Regierung den Austritt möglichst lange hinauszögern wird. Doch nun hat PM Theresa May angekündigt, dass es im März mit den Verhandlungen losgehen soll.

Das dürfte recht interessant werden, zumal die Briten es ja gewöhnt sind, dass ihnen eine Extrawurst gebraten wird und meiner Meinung nach werden sie auf jeden Fall ein Rosinenpicken versuchen. Sozusagen alles "Gute" aus/von der EU behalten und alles "Schlechte" (vor allem die Zahlungen an die EU und den freien Arbeitsmarkt) "abwählen". Man darf gespannt sein, wie sehr die EU das mit sich machen lässt.

Welche wirtschaftlichen Folgen der Brexit für das Vereinigte Königreich haben wird ist umstritten. Die Brexit-Befürworter versprechen blühende Landschaften. Ja, das kennen wir Deutschen irgendwoher. Andere sehen deutliche Probleme bei der Besetzung von Arbeitsplätzen, die bisher von Osteuropäern besetzt sind und deren Arbeit kaum ein Brite machen wollte. Was passiert mit Firmen, die auf solch hart arbeitenden Arbeitnehmer mit geringen Löhnen und wenig bis gar keiner Absicherung angewiesen sind? Was ist mit Unternehmen, die bisher nur mit europäischen Subventionen überlebten? Was ist mit Ausstauschprogrammen/Stipendien für Studierende oder Wissenschaftler (erasmus zum Besipiel)?

Und was ist mit dem Rest Europas? Kann die EU den Wegfall der Zahlungen der Briten auffangen? Welche wirtschaftlichen Folgen hat der Brexit für europäische Unternehmen, die sehr viel mit Großbritannien handeln? Insbesondere: Welche Folgen hat das für die deutsche Wirtschaft, Wachstumsmotor Nummer 1 in der EU? Da streiten die Experten.

Auch noch nicht abzusehen ist, ob Schottland und Nordirland den Kurs mitmachen, der nun eingeschlagen wird. Beide Länder haben mehrheitlich gegen den Brexit gestimmt. Wird das Königreich letztlich zerfallen? Oder gibt es Sonderlösungen, wie zum Beispiel dass Schottland und Nordirland in der EU verbleiben? (Erinnert ihr euch, dass Grönland aus der EU austrat und Dänemark drin blieb? Das politische Konstrukt dieser Länder ist allerdings etwas anders als das in GB)

Und in einem Reiseforum stellt sich natürlich nicht zuletzt auch die Frage, was sich für uns Weltenbummler alles ändert. Bleibt Loindon (und damit British Airways) interessant als Umsteigepunkt für Flüge über den Atlantik? Was ist dann mit der Fluggastrechteverordnung, die für Ausgleichszahlungen bei Flugverspätungen sorgt (ich habe ja selbst schon davon profitiert)?

Braucht man demnächst ein Visum für Großbritannien oder werden zumindest die Einreise- und Zollbestimmungen schwieriger? Wieviel Whisky werde ich 2018 denn aus Schottland mitbringen dürfen?  :zwinker:

Wohin steuert das britische Pfund? Seit der Ankündigung von May ist es für uns günstiger geworden: Von ungefähr 84 Pence auf heute 90 Pence für einen Euro. Aber ist das nun die Richtung, die es dauerhaft nehmen wird? Und überhaupt, was ist mit dem Zahlungsverkehr mit Großbritannien? Überweisungen kosten auch jetzt schon richtig Asche, das es kein Euroland ist. Wird das noch teurer wenn sie erst mal aus der EU raus sind?

Fragen über Fragen. Ich denke, es steht uns eine spannende Zeit bevor. Und das ist nur eines von vielen brennenden politischen Themen in naher Zukunft (Über Greichenland hört man seltsamerweise kaum noch was...)
Liebe Grüße, Andrea



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Paula

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Re: Brexit - und nun?
« Antwort #1 am: 08. Oktober 2016, 13:55:01 »
Andrea, ich mache mir ehrlich gesagt viel mehr Srgen über die politischen Folgen als die wirtschaftlichen. Das schlimme ist doch dass in vielen Ländern der Nationalismus und Isolationismus wächst, siehe Le Pen' s Frankreichs und Trumps USA. Ich mag gar nicht daran denken was passiert wenn in Frankreich Le Pen die Präsidentschaftswahl gewinnt, das wars dann mit der EU. Ich habe das dumme Gefühl wir stehen am Anfang einer sehr schlechten Entwicklung in Europa. Das erinnert mich alles an das Gefühl das ich beim Lesen des Buches "1913" hatte. Damals glaubte auch keiner dass ein Jahr später die Welt zusammen bricht.
Dass Grosbritannien sich Rosinen picken wird glaube ich übrigens nicht, das wird die EU nicht zulassen, ich glaube dass es in Großbritannien einen wirtschaftlichen Abschwung geben wird. Aber wie gesagt, die Zukunft Europas entscheidet sich meiner Meinung nach nicht in Großbritannien, die waren nie ein zentrales Mitglied, das waren immer Meckerer und Bremser, es ist Frankreich das die Zukunft bestimmen wird.
Wenn ich wetten sollte würde ich übrigens drauf tippen dass Schottland eigenständig wird und das wars dann mit Großbritannien.
Mit Erasmus und ähnlichen Systemen, der Zusammenarbeit zwischen den europäischen Universitäten und Forschungseinrichtungen wird es sicher viele Probleme geben, das finde ich besonders schlimm, denn das schadet Europa wirklich. Für uns als Touristen werden die Auswirkungen wahrscheinlich am geringsten sein, ein Visum für Europäer werden die Briten sicher nicht einführen. Und ob ich jetzt in London umsteige oder In Frankfurt oder Reykjavik ist mir ziemlich Wurscht.
Viele Grüße Paula

Andrea

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Re: Brexit - und nun?
« Antwort #2 am: 08. Oktober 2016, 14:14:33 »
Ja, Brexit ist sicher nicht das einzige Problem. Der Fremdenhass wächst - überall. In UK sind es die Osteuropoäer, die die Arbeitsplätze wegnehmen, in Ungarn sind es die Flüchtlingsströme, die das Land belasten, in Frankreich die Bürger aus den ehemaligen Kolonien und in Deutschland irgendwie alle zusammen. Alle rücken nach rechts.

Die Probleme im Nahen Osten sind auch nicht außer Acht zu lassen. Und wenn Trump wirklich gewählt wird, hat der Rest der Welt vermutlich ein größeres Problem als die USA selbst. Oder doch nicht?

Dann gibt es ja noch diese tollen Abkommen TTIP und CETA und wie sie nicht alle heißen, die uns Verbrauchern natürlich nur Vorteile bringen.

Irgendwie muss ich an die "Ur"kommunisten denken, die schon vor über hundert Jahren geglaubt haben, der Kapitalismus hat sich überlebt und das Volk sei reif für den Kommunismus. Die haben reichlich falsch gelegen. Wir steuern eher auf eine Zeit mit Äxten und Keulen zu... Und damit sind wir wieder bei einem Wissenschaftler aus dieser Zeit: "the Fittest survives" stellte Darwin fest.

Ist das alles Schwarzmalerei oder kriegen wir noch mal die Kurve? Oder rafft uns letztlich der Klimawandel dahin?
Liebe Grüße, Andrea



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Horst

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Re: Brexit - und nun?
« Antwort #3 am: 09. Oktober 2016, 15:03:53 »
Niemand kann wissen was die nächsten Jahre passieren wird.
Ich wage einen Ausblick - so wie ich ihn heute erwarte.

Den größten Weitblick auf die Entwicklung dieses Planeten (ich schreibe bewusst nicht nur in D) traue ich Frau Merkel zu (aktuell nach Afrika gereist - wo in meinen Augen das größte Problem der nächsten 50 + x Jahre schlummert), die viel unternimmt an Stellschrauben zu drehen, unpopuläre Maßnahmen ergreift , Entwicklungen weltweit zu steuern und zu beeinflussen und sich auch nicht von jedem Stammtischpolitiker aus der Ruhe bringen lässt (wer viel macht macht auch Fehler - aber die meisten Politiker interessieren sich ja ausschließlich für ihre Wiederwahl und sonst scheinbar gar nichts). Ob sie erfolgreich sein wird kann man vielleicht in 20 Jahren bewerten. Die Alternativen die sich in D anbieten , ... na ja ... was man ihr vorwerfen kann ist, dass sie ihre Politik zu selten erklärt oder vielleicht hält sie es ja mit Thomas de Maizière und denkt das würde uns zu sehr verunsichern.  ;)

In wie weit der Brexit GB trifft ist schwer zu sagen. Die Schotten werden GB sicher verlassen, die Iren vielleicht.
GB ist die fünftgrößte Weltwirtschaftszone (übrigens gleich nach D) und natürlich werden deren Gelder fehlen und Geschäfte die mit Europa getätigt wurden, beschädigt.
Das Rad wird sich aber weiter drehen und Experten sind sich einig, dass die Briten mehr unter dem Brexit leiden werden als Europa.
Auch ich sehe die politischen Folgen des Brexits dramatischer als die wirtschaftlichen.
Trotzdem bin ich zuversichtlich, dass sich die Staaten zumindest auf eine weitere Zusammenarbeit in Fragen der Sicherheit und Terrorabwehr einigen können.
Auf was sonst noch, bleibt abzuwarten.
Die Rosinenpickerei England's (GB wird es so nicht weiter geben) kann man von Seiten der EU niemandem mehr vermitteln und dahingehend gab es auch schon sehr eindeutige Aussagen - die wurden in London wohl mit den Wattebäuschen auf den Ohren überhört.

Für Frankreich muss man allerdings wirklich schwarz sehen und das nicht nur wegen Le Pen.
Das Land hat eine desaströse wirtschaftliche Entwicklung hingelegt und platzt vor lauter Problemen und Brennpunkten.
Deutschland und Frankreich sind die Stabilisatoren der EU - wenn einer von beiden ausfällt könnte es das gewesen sein.

Trump hat inzwischen wohl das selbst geschafft wozu seine Gegner nicht in der Lage waren (was auch ein Armutszeugnis ist) - sich aus der Verlosung zu kicken.
Lange gab es keine so katastrophal schlechte Kandidaten für eine Präsidentschaftswahl wie 2016.
Einzig Sanders wäre eine mutige Wahl gewesen - aber was in Baden-Württemberg mit einem vergleichbaren Außenseiter funktioniert, funktioniert halt noch lange nicht in den erzkonservativen USA. Die Republikanische Partei leidet seit Jahren an schlechten Köpfen und dem Einfluss der Tea-Party und diese grottigen Kandidaten haben das Niveau dieser Partei noch einmal schonungslos offen gelegt.
Clinton ist für mich auch eine grauenhafte machtgeile Verwalterin ohne jegliche Visionen oder gar den Mut etwas zu verändern (was die USA bitter bitter nötig hätten). Trump ... dass der so lange so aussichtsreich im Rennen lag spricht für (oder besser) gegen "God's own Country"  - es heißt ja so schön - jedes Volk bekommt den Volksrepräsentanten den es verdient.
Man fragt sich nur - sind die vereinigten Staaten so verwahrlost und heruntergekommen, dass das hätte Trump sein können....?


Und noch noch mal - siehe oben - das größte Problem der nächsten Jahre werden nicht die "paar Hanseln" sein, die aus Syrien und dem Irak nach Europa (also zu uns  ;) ) kommen, sondern die Millionen und Milliarden die sich von Afrika auf den Weg nach Europa machen wenn der Rest der reichen Welt den Kontinent völlig ausgebeutet und ausgeblutet hat, dort durch den Klimawandel nur noch Wüsten zu finden sind und der Kampf um's Trinkwasser beginnt.
Die Spirale nimmt bereits Fahrt auf und wird sich jedes Jahr schneller drehen.
Ohne ein zügiges Gegensteuern (bei dem sich aber wieder mal wie in der Flüchtlingsproblematik zu wenig beteiligen werden die nur bis zur Nasenspitze denken), kann man sich schon mal für diese frisch erweiterte Frontextruppe ein paar Maurer dazuholen, die die chinesische Mauer um Europa herum nachbilden.
Ironie ein#
Da China heutzutage ja auch einer der schlimmsten Ausbeuter Afrikas ist (in älteren Tagen waren das die Europäer), u.a. in Minen im Kongo Kinder für diese Rohstoffe (Cobalt), die man für die Akkus dieser unsäglichen Smartphones (inzwischen das Aushängeschild der Dekadenz der körperlichen wie geistigen Verdummung und den daraus zu erwartenden Folgen) verwendet - können die sich ja dann als Mauerspezialisten beratend engagieren, damit das nicht so ein Debakel wie der Flughafen in Berlin wird.
Ironie aus#

Kann aber auch alles ganz anders kommen ...  ;)
Ich bin mit dem, was Du sagst, nicht einverstanden, aber ich werde bis zum Tod Dein Recht verteidigen, es zu sagen. Voltaire.

Rainer

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Re: Brexit - und nun?
« Antwort #4 am: 09. Oktober 2016, 15:51:21 »
Und noch noch mal - siehe oben - das größte Problem der nächsten Jahre werden nicht die "paar Hanseln" sein, die aus Syrien und dem Irak nach Europa (also zu uns  ;) ) kommen, sondern die Millionen und Milliarden die sich von Afrika auf den Weg nach Europa machen

Dass Afrika das "eigentliche" Problem unserer Welt ist, sehe ich seit vielen Jahren so. Interessanterweise steht auch in der aktuellen Rheinischen Post vom Wochenende ein langer Artikel unseres Ex-Bundespräsidenten Köhlers zu diesem Thema, ein Thema, was an Dringlichkeit im gleichen Maße zunimmt, wie es in den Medien und insbesondere in der Politik totgeschwiegen wird.

Der einzige schwache Trost (wenn man das sarkastisch überhaupt so nennen darf) besteht aus meiner Sicht darin, dass ich davon ausgehe, selbst nicht mehr zu erleben, wenn Afrika sich endgültig erhebt. Das ist ein Prozess, der noch in weiter Ferne liegt, auch wenn die ersten Anzeichen nicht zu übersehen sind. Das sind so große Probleme, dass mir Begriffe wie "Eurokrise" und "Brexit" nicht ansatzweise Angst einjagen, ich halte beides für aktuelle, aber zeitlich relativ begrenzte Prozesse, deren Ausgang wahrscheinlich nur wenige bis gar keine Wirkung auf mein persönliches Umfeld haben werden. Und auch wenn das sehr egoistisch klingt, das ist ja dennoch ehrlicherweise im Kern die Frage, die sich jeder stellt: was für Folgen haben diese Entwicklungen für mein persönliches (wirtschaftliches) Umfeld? Letztendlich führt das bei mir in Sachen "Brexit" zu einer gewissen Gelassenheit, weil ich die Folgen für vergleichsweise marginal halte, jedenfalls im Vergleich zu der unheilvollen Entwicklung, die quasi unaufhaltsam auf dem schwarzen Kontinent stattfindet.

Christina

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Re: Brexit - und nun?
« Antwort #5 am: 10. Oktober 2016, 18:27:16 »
Ich sehe das ähnlich wie ihr, die wirtschaftlichen Folgen des Brexits werden sich für die anderen EU Länder in Grenzen halten, aber ob und wie die EU Zukunft weiterbestehen wird, macht mir Sorge. Dass es die Mitgliedsstaaten nicht geschafft haben, sich auf eine einheitliche Flüchtlingspolitik zu einigen und Flüchtlinge auf alle Länder aufzuteilen, hat mich letzten Sommer tatsächlich desillusioniert. Vielleicht war ich ja etwas naiv, aber es ist mir unverständlich, dass sich nun, wo es zum ersten Mal bei der EU nicht um Wirtschaftspolitik geht, plötzlich viele am liebsten austreten würden. Gerade über die osteuropäischen Länder bin ich entsetzt, sie haben so sehr von der EU profitiert und so viele ihrer Bürger waren in der Zeit des Kommunismus selbst Flüchtlinge oder haben unter diktatorischen Regimen gelitten, da hätte ich mehr Verständnis erwartet.

Ich habe einige Jahre in der Schweiz gelebt und in Liechtenstein gearbeitet, Kollegen aus der Schweiz, Liechtenstein, Österreich und Deutschland gehabt. Da lernt man die Vorteile einer EU ganz schnell kennen und schätzen. Die unterschiedlichen Währungen und dauernden Grenzkontrollen waren schon sehr belastend und mit ein Grund, dass wir wieder nach Deutschland zurück gekommen sind. Solche Erfahrungen müssten sehr viel mehr Menschen machen.

Leider vergessen die Leute auch viel zu schnell, wenn man in GB vor dem Brexit oder auch in Frankreich in Interviews Leute sagen hört, dass sie wollen, dass nur die eigene Regierung Entscheidungen für ihr Land trifft, frage ich mich, denkt denn keiner von denen daran, weshalb die EU überhaupt mal gegründet wurde. Wenn es so toll wäre, dass jedes kleine Land in Europa sein eigenes Süppchen kocht, hätte es eine EU doch überhaupt nicht gegeben.



LG Christina