9. Tag – Mittwoch, 14.06.
Nach den Wanderungen der letzten Tage gibt es heute Abwechslung, es geht in die Stadt und zwar nach Jyväskylä. Das liegt am Nordufer des Päijänne (der nördliche Zipfel des Sees, den ich gestern weggelassen habe), ist mit 143.000 Einwohnern die siebtgrößte Stadt Finnlands, als Unistadt bekannt und wegen Alvar Aalto. Ihr erinnert euch sicher an den Architekten Finnlands, von dem ich letztes Jahr in Helsinki einige Gebäude angeschaut habe bzw. nicht anschauen konnte (die Finlandia Halle, wegen Renovierung) und auf den ich auch dieses Jahr schon in Turku «getroffen» bin (Stadttheater). Aalto ist in der Nähe von Jyväskylä geboren, in der Stadt aufgewachsen, nach seinem Studium wieder zurückgekommen und hat hier sein erstes Architekturbüro eröffnet. Keine andere Stadt in Finnland hat so viele Aalto Werke wie Jyväskylä.
Auf sehr ruhiger Landstraße, die durch Wald und immer wieder an kleineren und größeren Seen vorbeiführt, geht es nach Nordosten. Es gibt einige Rastplätze, an einem besonders schönen halte ich an und genieße die morgendliche Stille. Die Raststätte kann auch mit dem Boot erreicht werden und auch eine Runde Schwimmen im See ist möglich.
Nach einer knappen Stunde Fahrt (50 km) erreiche ich mein erstes Ziel kurz vor der Stadt, die Kirche von Petäjävesi. Die Kirche, die zum UNESCO-Weltkulturerbe zählt, wurde 1764 errichtet. Ihre Besonderheit ist die Holzbauweise und die dabei verwendete, für damalige Verhältnisse, fortschrittliche Technik. Das Gebäude wurde in Blockhaus Technik auf einem steinernen Fundament errichtet, um ein Vermodern der Holzbohlen zu verhindern. Der freistehende Kirchturm wurde erst 55 Jahre später vom Enkel des Architekten ergänzt.
Ich parke auf dem großen offiziellen Parkplatz (kostenlos) direkt neben der Straße und an einem See
und gehe dann auf dem Fußweg zur Kirche. Ich weiß, dass sie erst um 10 Uhr öffnet, das ist mir zu spät, aber ich möchte sie wenigstens von außen anschauen, wenn ich schon daran vorbeikomme. Vielleicht kann ich sie auf dem Rückweg heute Nachmittag/Abend anschauen, sie ist immerhin bis 18 Uhr geöffnet, vermutlich werden mich meine Ziele nach der Stadt aber auf einem anderen Weg zurück nach Mänttä führen. Ich umrunde die Kirche, spaziere durch den alten Friedhof und nutze die Trockentoiletten, die sich in der Nähe befinden – ein sehr schönes, besonderes Gebäude und einen Stopp auf jeden Fall wert.
Weiter geht es ins Stadtzentrum. Das Finden von passenden Parkplätzen hatte sich bei der Vorbereitung etwas schwierig gestaltet, Google Streetview ist in Finnland meist von 2011 und die Karte mit Parkzonen auf der Webseite der Stadt war irgendwie auch nicht richtig hilfreich. Ich habe mich für ein Parkhaus und als Alternative einen Parkplatz mit Parkautomaten, beide neben der Uni und dem Aalto Museum (das ich mir natürlich anschauen möchte
) entschieden.
Das Parkhaus erreiche ich problemlos, aber die Schranke öffnet sich weder von selbst, noch sehe ich den üblichen «Kasten» mit Taste fürs Ticket und zur Öffnung der Schranke. Na gut, dann parke ich auf dem gegenüberliegenden Parkplatz. Der Parkautomat unterscheidet sich kaum von denen in Deutschland (allerdings ist mir nicht ganz klar, wie ich den Vorgang beginne, ich frage daher ein junges Pärchen, das kurz nach mir angekommen ist, um Hilfe). Blöd ist wie immer bei diesen Automaten, dass ich noch gar nicht weiß, wie lange ich in der Stadt sein werde. Ich bezahle mal bis 15 Uhr (fünf Stunden für EUR 5,50), da ich das Museum erst zum Schluss anschauen möchte, kann ich dann davor nochmal nachzahlen, wenn nötig.
Gegen viertel nach 10 Uhr starte ich mit der Stadtbesichtigung. Zunächst spaziere ich über den Unicampus, direkt neben dem Parkplatz. Die Gebäude sind mal älter, mal neuer und stammen von unterschiedlichen Architekten, viele davon aber natürlich von Alvar Aalto.
An den Unicampus schließt ein Stadtpark an, auf seinem höchsten Punkt steht der Aussichtsturm Vesilinna. Auf die Öffnung um 11 Uhr muss ich nur ein paar Minuten warten, dann kann ich mit dem Aufzug nach oben fahren. Der Eintritt ist zum Glück frei, sonst hätte ich mich geärgert, denn die Aussichtsetage ist komplett verglast, was die Sicht durch Spiegelungen einschränkt und die Temperatur bewegt sich auf Sauna Niveau, was den Genuss des Ausblicks ziemlich stark beeinträchtigt. Gut zu erkennen ist aber dennoch, dass die Stadt nicht nur von Wäldern und Seen umgeben ist, sondern eigentlich mitten im Wald und an mehreren Seen liegt. Doch ein sehr ungewöhnlicher Anblick bei einer Großstadt.
Vom Aussichtsturm gehe ich durch den Stadtpark den Hügel hinunter und erreiche den eher etwas vernachlässigt wirkenden Marktplatz mit der üblichen Markthalle in rot-weiß gestreift.
Nicht weit entfernt komme ich in die Fußgängerzone der Stadt mit Gebäuden unterschiedlichen Baustils, (erstaunlich) vielen Restaurants, Geschäften, darunter auch eine Buchhandlung – na, da wird es ja wohl endlich Postkarten geben. Tatsächlich werde ich fündig, man kann mir sogar auch gleich die passenden Briefmarken verkaufen.
Die Fußgängerzone endet an einem hübschen Park mit der neugotischen Lutherischen Stadtkirche in der Mitte und einem modernen Café am Rand.
Nun ist es Zeit fürs Mittagsessen und da habe ich nun die Qual der Wahl. Ich entscheide mich für eines der Restaurants in der Fußgängerzone, die alle inzwischen sehr gut besucht sind, der Kleidung nach wohl hauptsächlich von Angestellten, die in der Stadt arbeiten. Mit meiner Jeans (ich hatte nicht mit so warmen Temperaturen gerechnet und daher keine leichtere Sommerhose eingepackt) und T-shirt komme ich mir neben all den schicken Sommerkleidern und -röcken ein bisschen underdressed vor.
Im Restaurant «Elo» gibt es ein Lunch Buffet mit einer riesigen Auswahl aus allem was man unter den Begriff Salat fassen kann, dazu gehören neben Salaten im eigentlichen Sinne auch Nudelsalate, Meeresfrüchtesalate, Wurstsalate, Reissalate usw., dazu verschiedene Brote, als Nachtisch eine Quarkcreme und verschiedenes Kleingebäck, Wasser und Kaffee für EUR 13,60. Ein Foto gibt es nicht, da so ein selbst zusammengestellter Teller eher nicht sehr dekorativ aussieht.
Nach dem Essen setze ich meinen Stadtrundgang fort und muss leider feststellen, dass ausgerechnet das Stadtviertel, das komplett von Aalto gestaltet wurde, eine einzige Großbaustelle ist. Es ist weiträumig abgesperrt, ich kann gerade noch die Rückseite des Theaters sehen und immerhin das ehemalige Polizeipräsidium. Sehr sehr ärgerlich, aber nicht zu ändern.
Am historischen Bahnhofsgebäude vorbei
und über eine Fußgängerbrücke über die Bahngleise erreiche ich den Hafen. Hier liegen historische Schiffe, die zum Teil noch für Seerundfahrten genutzt werden, moderne Jachten und am Ufer stehen einige Appartementgebäude neueren Datums, sowie ein Einkaufszentrum.
Außerdem – und hier habe ich nun Glück mit meinem Besichtigungszeitpunkt – das Boot Alvar Aaltos, das er selbst baute (bzw. designte und bauen ließ) und regelmäßig für den Weg zu seiner Sommerresidenz auf einer Insel ein paar Kilometer von der Stadt entfernt nutzte, ist seit neuestem von einer Hütte aus Holz und Glas geschützt, im Hafen zu bewundern. Ganz geglückt ist die Konstruktion aber nicht, es spiegelt extrem, man kann das Boot kaum erkennen.
Am See entlang spaziere ich zurück zu meinem Parkplatz. Es ist 14 Uhr, ich habe bis 15 Uhr bezahlt und möchte nun das Alvar Aalto Museum besichtigen. Bin ich um 15 Uhr fertig? Das weiß ich nicht und zahle deshalb nochmal nach, nun kann ich bis 16 Uhr parken.
Auch bezüglich des Alvar Aalto Museums habe ich mit meinem Besichtigungszeitpunkt Glück. Das Museum war die letzten Jahre wegen Renovierung und Neugestaltung geschlossen, die Neueröffnung war für Anfang Mai dieses Jahres vorgesehen, wurde dann hinausgeschoben und fand nun erst vor wenigen Tagen statt. Das Museumsgebäude wurde noch von Aalto selbst entworfen und 1973, 3 Jahre vor seinem Tod eröffnet. Direkt neben dem Aalto Museum steht das Museum Mittelfinnlands, das ebenfalls von Alvar Aalto errichtet und 1961 eröffnet wurde. Letzteres wurde 2019 grundlegend saniert. Beide Museen sind nun baulich miteinander verbunden, es gibt nur ein Ticket, das für beide Museen gilt (EUR 15,00).
Als erstes schaue ich mir das Aalto Museum an. Hier wird zunächst das gesamte Leben des Architekten bildlich und textlich ausführlich dargestellt, dann ein Überblick über sein Schaffen gegeben. Erwähnung finden auch seine Werke im Ausland, z.B. das «Wolfsburg Cultural Centre» von 1962.
Ein weiterer Teil der Ausstellung beschäftigt sich mit Aaltos Schaffen im Bereich Inneneinrichtung. Verblüfft stelle ich fest, dass ich mit meinem Sessel «Poäng» und meinem Badhocker (Name weiß ich nicht mehr, gibt es aktuell scheinbar nicht mehr), nicht einfach typische Ikea Massenware gekauft habe, sondern nun zwei in ihren Grundzügen von Alvar Aalto (und seinen Partnern) geschaffene Designmöbel zu Hause habe. Er hat nämlich als erster die Idee gehabt, Holz biegsam zu machen und in dieser Form für Möbel zu nutzen.
Im Übergang zum Museum Mittelfinnlands wird eine Ausstellung über verschiedene Werke, die zum Weltkulturerbe gehören, gezeigt. Darunter ist auch die Kirche von Petäjävesi mit Fotos vom Kircheninneren, das sieht toll aus, mal sehen, ob ich heute doch nochmal dorthin komme, allerdings wird auch ein weiterer Teil des Weltkulturerbes gezeigt, der sich hier in der Nähe befindet, einer der Messpunkte des Struve Bogens. Mit diesen Messpunkten wurde im 19. Jh. Nordost-Europa vermessen. Nur für eines dieser beiden Ziele wird meine Zeit heute noch reichen.
Das Museum Mittelfinnlands durchquere ich im Schnelldurchlauf, die Texte dazu sind auf PC-Bildschirmen zu finden, die sich eigentlich auf verschiedene Sprachen umstellen lassen, dies funktioniert heute aber nicht, so dass es nur finnischen Text gibt. Übermäßig böse darüber bin ich aber nicht, meine Aufnahmefähigkeit ist schon etwas eingeschränkt und ich habe noch anderes vor heute.
Auf der Terrasse des Museumscafés mache ich Pause mit Kaffee und Munkki (EUR 4,00) und verlasse dann gegen 15.30 Uhr Jyväskylä.
Mein nächster Stopp ist nur zwanzig Autominuten entfernt, das Rathaus von Säynätsalo (1949-52), eines der bekanntesten Werke Alvar Aaltos. Das Gebäude kann von innen nur zu den auf der Website genannten Zeiten und nach Online-Vorausbuchung besichtigt werden. Heute ist bis 16 Uhr geöffnet und ich habe keine Buchung, da die online Bezahlung gestern Abend übers Handy nicht geklappt hat. Ich möchte es trotzdem mal versuchen, ein großer Umweg ist es nicht.
Es ist gerade 16 Uhr als ich ankomme, aber die Türen sind noch geöffnet. Ich gehe rein und treffe gleich auf Herrn Harri Taskinen, der das Gebäude betreut. Ich freue mich, als er mir mitteilt, dass heute noch länger geöffnet ist, da noch auf angemeldete Besucher gewartet wird und dass ich auch ohne Vorausbuchung direkt bei ihm bzw. seinem Assistenten den Eintritt (EUR 10,00) bezahlen kann und ich eine «Exklusiv-Führung» von seinem jungen Assistenten bekomme.
Die Führung ist sehr interessant, ich erfahre z.B., dass die Ziegel, aus denen das Rathaus erbaut wurde, alte, bereits benutzte Backsteine sind. Aalto hat bei den von ihm erstellten Gebäuden nicht nur die „äußere“ Hülle geschaffen, sondern sich auch um die Inneneinrichtung gekümmert und zwar bis ins letzte Detail. Im großen Saal hat er eine Nische für ein bestimmtes Bild des französischen Malers Fernand Léger geschaffen und daneben ein Fenster mit fest installierten Lamellen aus Holz, damit die richtige Menge Licht im richtigen Winkel auf das Gemälde fällt. Dumm nur, dass sich die Gemeinde das Gemälde gar nicht leisten konnte, immerhin gab es die Möglichkeit auf einen Druck auszuweichen. Im kleinen Saal fällt mir das große Gemälde an der Wand auf, das sieht irgendwie unpassend aus und tatsächlich, die Gemeinde wollte dieses Bild unbedingt hier aufhängen, Aalto hat abgelehnt und als er gestorben war, wurde dann das Bild doch aufgehängt.
Das Rathaus wird heute nicht mehr als solches genutzt, Säynätsalo wurde 1993 in die Stadt Jyväskylä eingemeindet. Das Rathaus war dann jahrelang geschlossen, Aalto Fans konnten es nur von außen anschauen. Erst seit 2018 kann es auch von innen besichtigt werden. Die meisten Besucher kommen natürlich aus Europa, dort hauptsächlich (nach den finnischen Besuchern) aus Deutschland und Frankreich und aus den USA und Japan. Viele Japaner reisen wohl nur wegen Alvar Aalto nach Finnland und reisen hier von einem Werk von ihm zum nächsten.
Ein toller Besuch und ich bin froh, dass ich das Gebäude nicht nur von außen anschauen konnte.
Für ein letztes Ziel bleibt heute noch Zeit. Also entweder die Kirche von Petäjävesi oder eine kleine Wanderung zum Messpunkt des Struve Bogens. Da ich noch Lust auf Bewegung und Natur habe, entscheide ich mich für letzteres.
Gegen 16.30 Uhr geht es also in Richtung Ausgangspunkt der Wanderung. Es sind nur 40 km, die letzten 8 davon aber auf unbefestigter Straße, das zieht sich unendlich, am liebsten wäre ich umgedreht, aber so kurz vor dem Ziel ist das auch doof. Am Trailbeginn gibt es einen kleinen Parkplatz, der völlig leer ist, ich parke recht nah bei der Straße, so versteckt möchte ich nicht unbedingt stehen.
Am Beginn des Wegs wird die Bedeutung des Struve Messpunkts erklärt: der deutschbaltische Astronom Friedrich Georg Wilhelm Struve hat 1834 auf dem Gipfel des Oravivuori (früher Puolakka) einen von 265 Messpunkten auf einer 2821 km langen Linie festgelegt, um damit Nordosteuropa zu vermessen, eine andere Bezeichnung ist „skandinavisch-russischer Meridianbogen“. Eine erneute Messung mit nun moderneren Methoden hat 100 Jahre später nur eine Abweichung von 43 cm ergeben. Mit diesem Netz an Messpunkten wurde die Erdabplattung an den Polen bestätigt, weitere Infos dazu gibt es auf Wikipedia.
Der Weg führt recht steil nach oben, ist bestens markiert und gewartet, immer wieder gibt es Erklärungstafeln und einen Hinweis, wie weit man noch bis zum Gipfel gehen muss.
Ganz oben steht ein hölzerner Aussichtsturm mit herrlichem Blick auf Teile des Päijänne Sees.
Runter geht es auf demselben Weg. Insgesamt habe ich unerwarteterweise nur ca. 45 Minuten gebraucht, für 109 Höhenmeter und 1,8 Km. Auf dem gesamten Trail habe ich niemanden getroffen, auch mein Auto ist weiterhin das einzige auf dem Parkplatz als ich zurückkomme. Eine sehr lohnenswerte kleine Wanderung war das.
Gegen 18 Uhr mache ich mich dann auf die Rückfahrt nach Mänttä. Ungefähr 20 km vor Mänttä auf einsamer Landstraße biegt vor mir ein Auto ein, dessen Fahrer offensichtlich betrunken ist. Das Auto fährt in Schlangenlinien im Wechsel von der Mittellinie zur Seitenlinie und zurück. Kein Meter wird geradeaus zurückgelegt. Das ist mir nun in dieser Einsamkeit etwas unheimlich, ich halte daher extra viel Abstand und bin froh über jeden Kilometer, den ich in Richtung Mänttä hinter mich bringe. Irgendwann ist es dann soweit und das Auto vor mir berührt nicht nur die Seitenlinie, sondern fährt in den Schotter am Rande der Straße. Geradeso kann der Fahrer sein Auto zurück auf die Straße bringen, immerhin wird ihm dadurch wohl bewusst, dass Autofahren in seinem Zustand keine gute Idee ist. Jedenfalls kommt bald ein Parkplatz in den er dann einfährt. Puh, da bin ich richtig froh, dass das gut ausgegangen ist.
Um 19 Uhr bin ich zurück in der Ferienwohnung.
Wetter: sonnig, ca. 25°C
Wanderungen: Oravivuori Nature Trail, 1,80 km, 109 Höhenmeter