Freitag, 4. OktoberAm Mittwoch ist die Wettervorhersage für den heutigen Freitag noch alles andere als optimistisch gewesen und hat uns mit düsteren Prophezeiungen wie „98 Prozent Regenwahrscheinlichkeit“ erfreut. Wir sind umso erleichterter, dass es heute morgen trocken ist. Beim Frühstück schauen wir in Gesellschaft eines Ritters der Frühstückstafelrunde hinüber auf die andere Rheinseite zur Burg Katz, decken uns in einer Metzgerei noch mit Proviant ein und steigen schließlich um zwanzig nach neun in den Zug nach Trechtingshausen.
Auf dem 1,4 km langen Weg durch die Gärten und Weinberge zurück zum Rheinburgenweg können wir nochmals die Burg Reichenstein sehen und nehmen den blauen Himmel und die Sonnenblumen in den Gärten als gutes Omen.
Laut Wanderführer nehmen wir heute die Königsetappe in Angriff: Mit Zuwegen 23 km lang, dazu insgesamt 800 Höhenmeter, da schlagen wir doch lieber mal einen schnellen Schritt ein. Zuerst wandern wir durch das Morgenbachtal. Dann führt der Weg immer steiler bergan, bis wir schließlich den Gerhardshof erreichen.
Eigentlich kann es hier ja nicht mehr weiter berghoch gehen, meine ich. Kann es aber doch. Insgesamt gehen wir die ersten 6 Kilometer fast ständig bergauf. Nach dem Gerhardshof führt der Weg zuerst weiter aufwärts durch einen Buchenwald, bei dem sich die ersten Laubfärbungen zeigen. Unsere Gesichter haben sich inzwischen auch etwas rötlich verfärbt, und die freche Behauptung des Wanderführers, nach 6,2 km „ziemlich entspannt“ eine Hütte zu erreichen, können wir durch die beschlagenen Brillengläser kaum lesen. Immerhin geht es nach Kilometer 6,2 wieder bergab, bis wir schließlich den Siebenburgenblick erreichen. Von hier aus soll man die Burgen Sooneck, Heimburg, Fürstenberg, Stahleck und Nollig gut erkennen können, dazu noch Kammerburg und Schoeneck - letztere aber wohl nur mit Adleraugen und einigem Wunschdenken.
Sieben Burgen entdecken wir nicht, dafür ist es einfach zu diesig. Eigentlich ist es nur die Burg Sooneck, die gut zu erkennen ist. Der Anblick ist trotzdem wunderbar, aber leider wird unser Picknick am Aussichtsturm durch einen leichten Regenschauer unterbrochen. Wir packen also unsere Sachen zusammen und machen uns auf den steilen Abstieg über den Rentnersteig. Ein Steig für Rentner, könnte man meinen, aber tatsächlich ist es ein Steig von Rentnern. Diese rüstige Truppe, deren Foto am Beginn des Steigs aushängt, soll den Weg ausgebaut haben.
Zum Glück hat es auf dem Steig schon wieder aufgehört zu regnen. Wir wandern noch ein Stück weiter talwärts und erreichen schließlich die Burg Sooneck. Die wird im Wanderführer immerhin mit einer ganzen Seite beschrieben, und zwar nicht mit langweiligen Fakten, sondern einer unterhaltsamen Anekdote, einer Art Nachbachburgstreit zwischen Siebold von Sooneck und Hans Veit von Fürstenberg. Letzterer war besser im Armbrustschießen als Siebold von Sonneck, welch ein Skandal! Also forderte Siebold Hans zum Duell, wohlweislich aber nicht mit der Armbrust, sondern mit dem Schwert. Der arme Hans verlor, und statt ihn in Würde zu richten, ließ Siebold ihm die Augen ausstechen und in der Folge zur Bespaßung seiner Gäste auftreten. Irgendwann überspannte Siebold dann den Bogen, ließ den blinden Hans mit der Armbust auf einen Becher schießen und wunderte sich vermutlich mächtig, als Hans' Pfeil statt dem Becher Siebolds Hals traf. Siebold verblutete, doch was letztlich aus dem armen Hans wurde, verrät der Wanderführer leider nicht.
Inzwischen hat ein heftiger Wind eingesetzt und wir frieren, während wir durch die Außenanlagen der Burg spazieren und Haare und Schals heftig flattern. Eigentlich befürchten wir schon, auch heute unterwegs keinen Platz in einer Herberge zu finden, aber heute zeigt sich uns die Gastronomie am Rheinburgenweg freundlich gesonnen, und in der kleinen Burgschenke finden wir noch einen letzten freien Tisch und wärmen uns mit heißem Kakao und Käsekuchen wieder auf. Beim Aufbruch teilen wir unser Glück noch mit denen, die draußen ausharren müssen:
Durch Weinberge und vorbei an einer kleinen Höhle wandern wir weiter nach Niederheimbach. Dort haben sich entlang der alten Burgmauern der Heimburg, auch Burg Hohneck genannt, in einem Märchenhain ein paar Sagengestalten eingefunden. Die Burg selbst wurde Ende des 13. Jahrhunderts als Grenzburg erbaut, verlor aber bald ihre Bedeutung und wurde, wie so viele andere Burgen auch, im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört.
Modernere Kunstwerke finden wir auch, wie das umstrickte Fahrrad. Danach geht es mal wieder nach oben – diesmal durch die Weinberge, mit Blicken zurück auf die Burgruine Hohneck und Niederheimbach und nach vorne auf den Rhein. Schließlich erscheint vor uns die Ruine Fürstenberg, von der - wie sich der aufmerksame Leser erinnern wird - der blinde Hans stammte. Auch sie wurde im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstört.
Der Wanderführer behauptet, an einer Kreuzung in den Weinbergen biete sich „ein 350 m langer Abstecher“ zu dieser Ruine an. Nachdem der Wanderführer sich gestern ja über die schöne Burg Rheinstein mehr oder weniger ausgeschwiegen hatte, sind wir der Meinung, dass der Satz zur Runie Fürstenberg eine deutliche Besuchsempfehlung beinhaltet und entscheiden uns für die paar Extrameter. Leider sind es dann doch ein Meter mehr, hin und zurück insg. 1,4 km. Und für diesen Umweg gibt es leider nur einen Blick auf die hoch aufregenden Burgruinen, denn die Ruine Fürstenberg kann offensichtlich nicht besichtigt werden. Jedenfalls nicht offiziell. Wie ich später nach der Heimkehr feststelle, erwähnt die Wikipedia-Seite zur Ruine Fürstenberg zwar die Möglichkeit, die Ruine "inoffiziell" zu besichtigen, aber das würde "gewisse Kletterei über ungesichertes Gelände" voraussetzen. Na ja, wir sind jedenfalls not amused. Immerhin dient der Turm dann wenig später immerhin noch als Hintergrund für ein Foto.
Der Rheinburgenweg führt dann in ein Seitental, und wenig später erreichen wir den Ort Medenscheid, wo offenbar das Strickfieber ausgebrochen ist. Langsam tun uns die Füße weh, und wir bedauern es sehr, dass wir nicht einfach von den dekorativen Weinfässern, die hier in fast jedem Ortsteil irgendwo an der Zufahrtsstraße aufgebaut sind, einen Schoppen zapfen können. Der Abzweigung zu einer Weinwirtschaft widerstehen wir nur mühsam. Aber immerhin taucht bald danach die Burg Stahleck vor uns auf.
Ziemlich erschöpft, aber immer noch guter Dinge, erreichen wir schließlich die Burg Stahleck und gönnen uns im Burghof bei wunderbarer Sicht auf den Rhein endlich den ersehnten Schoppen. Die Burg Stahleck blickt übrigens auf eine bewegte Geschichte zurück: Erbaut wurde sie im 11. Jahrhundert und bot in den folgenden Jahrhunderten immer wieder den Schauplatz geschichtlich bedeutsamer Hochzeiten und Königswahlen. Zerstört wurde sie - man ahnt es schon - im Pfälzischen Erbfolgekrieg. Der Wiederaufbau erfolgte ab dem Anfang des 20. Jahrhunderts, und zwar zur Jugendherberge, die heute noch besteht. Glaubt man Wikipedia, war in den Anfangszeiten des Daseins als Jugendherberge die Wasserversorgung so schwierig, dass ein Waschverbot bestand. Vermutlich unterschied sich die Körperhygiene damit nicht sonderlich vom Mittelalter.
Danach müssen die weichen Knie nur noch die vielen Stufen hinunter in den Malerwinkel bewältigen. Auf dem Weg von dort zum Bahnhof erhaschen wir noch ein paar Impressionen von Bacharach.
Dann bringt uns der Zug wieder zurück nach St. Goar. Inklusive aller Zu-, Ab- und Umwege haben wir heute auf teils steilen Pfaden etwa 25 km bewältigt, und so fühlen wir uns auch. Die Waden sind verhärtet, die Oberschenkel schmerzen, die Füße sind geschwollen und der Magen rumort. Um später nicht wieder abgewiesen zu werden, marschieren wir vom Bahnhof aus direkt in die Krone, um einen Tisch für halb neun zu reservieren. Aber wieder haben wir die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Die Bedienung setzt uns leicht entgeistert darüber in Kenntnis, dass um halb neun die Küche gar nicht mehr geöffnet wäre. Auf unsere vorsichtige Frage, was sie uns denn als Alternative empfehlen könne, werden wir „Zur Loreley“ verwiesen. Immerhin schließt die Küche dort erst um neun, wir können reservieren und humpeln schließlich frisch geduscht und hungrig ins Restaurant und werden mit großen und leckeren Portionen und einem guten Riesling für die Strapazen des Tages belohnt.
Für morgen sagt der Wetterbericht leider Dauerregen voraus, aber wir hoffen das beste, als wir uns nach dem Essen in unsere Zimmer verabschieden.
Gute Nacht!