Autor Thema: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe  (Gelesen 114472 mal)

Silke

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #105 am: 07. November 2013, 14:36:30 »
Wir waren auch im Februar unterwegs.

Wenn du da einen Fahrer hast, kannst du mir ja bitte mal einen Link o.ä. schicken. Wobei ich mir auch vorstellen könnte, das nächste Mal zwei oder drei Orte mit dem Flugzeug anzusteuern und sich dann vor Ort jeweils ein Taxi zu nehmen. Oder vielleicht doch noch mal kurze Strecken selbst fahren? Mal sehn.
Durftest du jetzt eigentlich auch mal ans Steuer ;D?

Birgit

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #106 am: 07. November 2013, 17:09:12 »
DO, 17.10.: Pushkar to Bikaner

Es war wohl doch nicht so gut mittags in einer Kneipe zu essen, in der die Teller mit dem dreckigen Vorhang abgetrocknet werden, so lässig die Leute dort auch immer drauf waren. Die Auswirkungen sind nicht schlimm und mit einer Ladung Loperamid schnell in den Griff bekommen. Unangenehmer als die Stunde auf dem Klo ist die bange Frage im Halbschlaf für den Rest der Nacht, ob es wohl schlimmer werden würde. Zur Vorsicht verzichte ich auf das Frühstück und treffe mich um 8 Uhr mit Anil.

Vor uns liegt ein langer Ritt über eine ungeahnt schlechte Straße. Zwar ist nicht viel los, aber unser Durchschnittstempo liegt trotzdem kaum höher als 40 km/h. Die Straße hat Schlaglöcher und ist an vielen Stellen nicht einmal asphaltiert. Wir legen zwei Pausen ein, schließlich soll der Fahrer konzentriert bleiben.

Es bleibt viel Zeit sich zu unterhalten. Anil hat ein Einkommen von etwa 10000 Rupies pro Monat. Allein das Schulgeld für seine Tochter und den Schulbus beträgt 2300 Rupies im Monat. Was mag es selbst nach 22 Jahren in seinem Job auch heute noch in ihm auslösen, wenn die alleinreisende Deutsche am Flughafen leise vor sich hinschimpft, wenn der Automat nicht mehr als ein Monatseinkommen auf einmal ausspuckt, wenn sie dann mit einer zweiten Karte noch ein zweites Monatseinkommen zieht und wenn sie ohne mit der Wimper zu zucken für eine Nacht im Hotel ein halbes Monatseinkommen hinlegt? Wenn er mit Gästen unterwegs ist, muss er zunächst am Tag 400 bis 500 Rupies ausgeben, das ist viel für ihn. Ich sei glücklich in Deutschland zu leben. Ich beschließe die Klappe zu halten, wenn er mir erklärt, ein Hotel für umgerechnet 40 Euro die Nacht sei Geldverschwendung.

Und sein Handyladegerät im Auto ist nur noch mit einem dünnen Fädchen mit dem Stecker verbunden. Ich frage ihn, ob wir ihm ein Neues kaufen wollen. Er antwortet "not now". Ich krame in der Schublade für interkulturelle Kompetenz in meinem Gedächtnis und  erkenne, dass er "nein danke" meint. Ich werde ihm also kein Ladegerät aufdrängen.

Erst kurz vor Bikaner treffen wir an unserem ersten Zwischenziel ein, dem Rattentempel von Deshnok. Ich werde mit den üblichen Instruktionen losgeschickt. Es ist viel los. Die Gläubigen stehen mit ihren Opfergaben Schlange. Ich darf an der Schlange vorbei in den Teil des Tempels, der nicht zum Altar führt. In einer Ecke sitzt ein Musiker, über Lautsprecher schallen irgendwelche Ansagen oder Gebete durch das Gebäude, über allem liegt Stimmengewirr.















Ach ja, da war doch noch was? In einer Ecke sitzen die ersten beiden Ratten. Auf der Erde liegt Futter und Dreck, die Ratten fühlen sich wohl. Immer mehr tauchen auf in Nischen und Kammern. Die Menschen dazwischen völlig ungerührt, ein Mann liegt auf dem Boden und schläft. Ein anderer sitzt neben der vollsten Rattennische nur etwa 5 Meter weiter auf dem Boden und backt Brot. Kinder krabbeln auf dem Boden. Ich überlege jeden Schritt, komme in einen Raum, in dem Gläubige den Ratten säuerlich riechende Milch in große Gefäße gießen.











Ein paar Kilometer weiter halten wir um zu essen. Die Kamelfarm öffnet erst um 15 Uhr und nach einem Tag ohne Frühstück habe ich Kohldampf. Wir bestellen und während wir auf das Essen warten, sehe ich mich um. Auch hier flitzen zwei Ratten durch den Raum, der eher einer Werkhalle gleicht, in dem ansonsten ausschließlich indische Männer etwas essen, Tee trinken oder sich Leitungswasser in den Mund fließen lassen, das vorher aus einem großen Plastikfass in den Krug gegossen wurde. Jemand wischt den Tisch mit einem Lappen ab, der entweder aus anthrazitfarbenem Stoff besteht oder aber so dreckig ist, als ob jemand damit im Kohlebergwerk Staub gewischt hat. Mich beachtet irgendwie niemand.

Ich glaube, heute ist der bisher klischeehafteste Indientag meiner Reise, wenn man an die vielen Horrorgeschichten denkt, die man bei der Vorbereitung einer solchen Reise so hört über "indische Verhältnisse". Aber komisch, irgendwie fühlt es sich deutlich harmloser und selbstverständlicher an als wenn man solche Geschichten vor einer Reise liest.

Auf der Kamelfarm muss ich mir dringend erst einmal die Füße waschen wegen des Rattendrecks und schlendere dann über das wenig aufregende Gelände. Ein Kamel kostet umgerechnet so viel wie das iPad, auf dem ich gerade schreibe und ist somit für einen Inder ein sehr hoher Wert. Kamele ohne Ende, außerdem kann man Leder- und Milchprodukte vom Kamel kaufen. Anil warnt mich Milch zu trinken. Offenbar soll diese aphrodisierend wirken, das geht nicht, wenn ich ohne Mann unterwegs bin, meint er. Aber schon, weil ich heute wegen meines Bauches vorsichtig sein will, verzichte ich darauf, schätze aber, dass ich auch mit der Milch hätte an mich halten können und nicht über den nächstbesten Inder hergefallen wäre. Ohnehin wirkt kaum einer der Herren, mit denen ich bisher zu tun hatte, als ob er das Kama Sutra beherrscht.









Die paar letzten Kilometer nach Bikaner sind schnell abgesessen und Anil fährt mich zum wiederum schönen, aber auch eher schlichten Hotel Harasar Haveli ohne "Firlefanz" mit wiederum äußerst netten Inhabern und sehr aufmerksamen und angenehmen Mitarbeitern und einem farbenfroh eingerichteten Zimmer. Nach dem Einchecken fährt er mich in die Altstadt und so ist sein Job für heute beendet. Zurück will ich laufen.

Ich fotografiere von außen das Fort, für eine Besichtigung bleibt keine Zeit. Es sind Wolken aufgezogen, jede Menge Sand weht durch die Stadt, ohrenbetäubender Lärm von Motoren und dem ständigen Gehupe auch hier. Ich werde angesprochen und angebettelt. Meistens sind es wohl Guides, die den Kontakt zu mir knüpfen wollen um mir dann ihre Dienste anzubieten. Einem stark verkrüppelten Mann gebe ich einen kleinen Schein, hier kann ich nicht anders.













Der kurze Rückweg ist gut zu finden, die Straße ist breit, und es ist nicht viel Verkehr. Auf dem Weg sehe ich die letzte Ratte des Tages am Straßenrand in der Kanalisation verschwinden. Ich gehe abseits des direkten Innenstadtbereiches noch vorbei an kleinen und eher profan wirkenden Tempeln, in denen aber stimmungsvolle Zeremonien abgehalten werden.

Noch eine Merkwürdigkeit am Wegesrand:



Relativ kurz nach Einbruch der Dunkelheit bin ich wieder am Hotel und sitze nun nach dem Essen auf dem Dach, wo es recht ruhig ist. SMS von Anil, ob es mir gut geht und ob ich in der Stadt oder am Hotel bin. Ja, danke, alles okay. Später läuft er mir noch über den Weg, als ich unten vor dem Hotel sitze und die Fotos sichte. Wir sehen sie gemeinsam an. Ich sähe "cute" aus, meint er bei einem Bild von mir. Danke schön für das Kompliment!

Michael

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #107 am: 07. November 2013, 17:59:27 »
... und wieder ein mit vielen tollen und bunten Eindrücken vollgepresster Tag - aber ich glaube, das geht in Indien auch gar nicht anders.
Weißt Du zufälliger Weise, was der Stein mit den Händen für eine Bedeutung hat?

Grüße aus der Pfalz,
Michael
...nach der Reise ist vor der Reise...

Silv

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #108 am: 07. November 2013, 18:17:20 »
Uah, bei den Ratten schüttelt es mich!  :o
Da hast du auf deiner Reise aber eine Menge Eindrücke gesammelt.
Liebe Grüße
Silvia

Horst

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #109 am: 07. November 2013, 18:24:06 »
Hi Birgit,
beim ersten Video solltest Du Deine Einstellungen von privat auf öffentlich umstellen - das kann man so nicht ansehen.
Das zweite Video mit den Ratten ist der Klopper, vor allem wie daneben sitzen und irgendwelche Fladen anbieten (?).
Unfassbar.  :))

Jedenfalls wieder toll geschrieben!
Hoffe der Bauch hat sich schnell wieder beruhigt - aber ohne das Problem scheint ja keine Indienreise abzulaufen von der ich bisher gehört habe. ;)
Ich bin mit dem, was Du sagst, nicht einverstanden, aber ich werde bis zum Tod Dein Recht verteidigen, es zu sagen. Voltaire.

Birgit

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #110 am: 07. November 2013, 18:32:07 »
Geht das jetzt mit dem Video? Keine Ahnung, wie sich das auf privat gesetzt hat, ich hoffe nun den richtigen Knopf gefunden zu haben.

Der Bauch hatte sich innerhalb einer Stunde wieder beruhigt. Das kam dann noch zweimal vor, also nichts, was mich an irgendwas gehindert hätte. Kein Kotzen, kein Kreislauf, kein Fieber, alles innerhalb von wenigen Stunden wieder völlig OK. Mein schlimmstes gesundheitliches Problem auf der Reise waren einmal an die 100 Mückenstiche an Unterschenkeln und Füßen, die ich mir im Garten des Hotels in Jaipur geholt hatte.

Horst

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #111 am: 07. November 2013, 18:51:03 »
Hi Birgit,

ja jetzt funzzt's.  :)
Die Videos sind übrigens super (vermitteln tolle Eindrücke) und entweder Deine Kamera hat einen hochmodernen Stabi oder Du die ruhigste Hand die ich bisher bei Filmern gesehen habe!
Ich bin mit dem, was Du sagst, nicht einverstanden, aber ich werde bis zum Tod Dein Recht verteidigen, es zu sagen. Voltaire.

Birgit

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #112 am: 07. November 2013, 19:15:12 »
Ach, da bin ich sicher nicht begabt. Nur manchmal finde ich, dass ein Foto nicht reicht, dann nehme ich halt so eine kurze Sequenz auf.

Das ist ein stinknormales iPhone 5, das ich, wenn möglich, für die Aufnahmen irgendwo aufsetze, beispielsweise habe ich es bei der Abendstimmung in Pushkar einfach auf die Balkonbrüstung gelegt.

Silke

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #113 am: 07. November 2013, 19:40:27 »
Es bleibt viel Zeit sich zu unterhalten. Anil hat ein Einkommen von etwa 10000 Rupies pro Monat. Allein das Schulgeld für seine Tochter und den Schulbus beträgt 2300 Rupies im Monat. Was mag es selbst nach 22 Jahren in seinem Job auch heute noch in ihm auslösen, wenn die alleinreisende Deutsche am Flughafen leise vor sich hinschimpft, wenn der Automat nicht mehr als ein Monatseinkommen auf einmal ausspuckt, wenn sie dann mit einer zweiten Karte noch ein zweites Monatseinkommen zieht und wenn sie ohne mit der Wimper zu zucken für eine Nacht im Hotel ein halbes Monatseinkommen hinlegt? Wenn er mit Gästen unterwegs ist, muss er zunächst am Tag 400 bis 500 Rupies ausgeben, das ist viel für ihn. Ich sei glücklich in Deutschland zu leben. Ich beschließe die Klappe zu halten, wenn er mir erklärt, ein Hotel für umgerechnet 40 Euro die Nacht sei Geldverschwendung.


Das kommt mir bekannt vor. Unserer hat uns auch immer erklärt, dass wir billiger übernachten könnten, wenn er erfahren hat, was ein Zimmer gekostet hat.

Bei solchen Gesprächen und solchen Erlebnissen wird Einem immer wieder bewusst, wie gut es uns hier wirklich geht und auf welch hohem Niveau und über welche eigentlich Unwichtigkeiten wir hier oft jammern.


Petra

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #114 am: 07. November 2013, 20:37:01 »
Das ist ein stinknormales iPhone 5...

Hast Du die Fotos auch damit gemacht? Wenn ja, Hut ab vor Apple (und Dir natürlich auch), die sind echt gut!

Ich habe Horst beim Essen vorhin gesagt, wie toll ich Deinen Bericht finde und er meinte, das könne ich ruhig mal schreiben  ;). Also schreibe ich das hiermit: Ein toller Bericht, der mir richtig Lust auf Indien macht!!! Da könnte ich glatt meine Vorliebe für einsame Landstriche hintenanstellen.

Okay, die Ratten heute finde ich jetzt auch nicht wirklich niedlich, aber trotzdem total faszinierend, daß die da einfach so rumwuseln.

Liebe Grüße
Petra

Birgit

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #115 am: 08. November 2013, 00:16:09 »
Neeeeeeeiiiiiin, für die Fotos habe ich eine kleine, praktische Lumix.

Ich würde nie mit einer riesigen Fotoausrüctung zurecht kommen und würde so etwas wie Stative ohnehin immer vergessen bzw. aus Faulheit nicht mitnehmen. Ich brauche eben ein kleines, handliches Dings, das ich aus der Tasche ziehe.

Während andere aber ewig lange und mit viel Verstand schauen, wie sie ihre Fotos gestalten, mache ich eben pro Tag 999 Schnappschüsse und lasse mich abends dann selbst überraschen, was davon vorzeigbar ist, frei nach dem Motto "blindes Huhn trinkt auch 'n Korn" ;)

Zitat
Ich habe Horst beim Essen vorhin gesagt, wie toll ich Deinen Bericht finde und er meinte, das könne ich ruhig mal schreiben  ;). Also schreibe ich das hiermit: Ein toller Bericht, der mir richtig Lust auf Indien macht!!!

 :danke:

Birgit

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #116 am: 08. November 2013, 08:20:16 »
FR, 18.10. Bikaner to Jaisalmer

Spätestens heute bin ich mir sicher, dass dieses Land mich wiedersehen wird. Sei gut zu dem Land und zu den Menschen hier und das Land wird es dir hundertfach zurückgeben, aber sei auch gleichzeitig vorsichtig und lass dich nicht veräppeln. Gesunder Menschenverstand, gekoppelt mit einigen Hinweisen, wird dich dazu bringen, dass Indien dich so schnell nicht wieder loslässt.

Wir verlassen Bikaner um 8.30 Uhr mit dem Ziel die "goldene Stadt" Jaisalmer zu besuchen.

Kurz hinter Bikaner machen wir einen Abstecher zu einem wunderbaren Ort. Ja, es gibt wunderbar ruhige, und dennoch stimmungsvolle, farbenfrohe und wenig dreckige Orte in Indien. Unser Zwischenziel heißt Kolayat. Anil beteuert, hier fährt er unaufgefordert nur mit seinen liebsten Gästen hin. Behandelt euren Fahrer gut, und er wird sich viel, viel Mühe geben, euch sein Land von seiner besten Seite zu zeigen.

Zunächst durchqueren wir ein Gebiet, das nach Tagebau aussieht und Anil hält an einem Werk, in dem Ziegel gebrannt werden. Hier stehen zwei Jugendliche, die sich schweigend nähern, sich schweigend fast direkt vor mich stellen und mich schweigend mustern, uns dann schweigend zurück verfolgen zum Auto.

Kolayat hat einen mit Lotus bedeckten See, mehrere Tempel. In dem kleinen Ort gibt es Ghats, Frauen in farbenfrohen Gewändern, den einen oder anderen heiligen Mann und natürlich, das lässt sich wohl nirgendwo in Indien vermeiden, bettelnde Menschen. Ein Handkarren ist an den dilettantisch aufgezeichneten und schon halbwegs verblassten Eistüten schnell als Eisgeschäft zu erkennen, aber selbstverständlich esse ich hier nichts. Wir sitzen zunächst am See und schauen auf die Ghats, schlendern dann hin.

In einem Tempel wird Anil gefragt, wer ich bin und woher ich komme. Er sagt auf Hindi, mein Name sei "bright". Das hat er so beschlossen, da er Birgit nicht aussprechen kann und ich schließlich auch "bright" sei.

Wir sitzen eine Weile auf einer Bank an einem See. Wiederum schweigend und mit großen Augen stellen sich zwei Jungs direkt vor mich ins Sichtfeld und starren mich an, bis Anil sie wegschickt.

Ich finde den Ort so zauberhaft, dass ich das Touriklischee nicht erfüllen mag und nur wenige Fotos mache.













Es folgt die wieder sehr lange Etappe nach Jaisalmer über eine größtenteils schnurgerade, leere und gute Straße, insgesamt 320 Kilometer von Bikaner aus.



Es wird karger und trockener. Wir halten nur zum Mittag nochmals an. Ich schlafe zwischendurch ein bisschen im Auto. Es ist heiß draußen, in wenigen Wochen wird das bisschen Grün hier sich dem goldgelben Ton der Erde angepasst haben.

Unterwegs erfahre ich wieder vieles, beispielsweise, dass die Kühe auf der Straße harmlos sind, wenn sie geradeaus in Fahrtrichtung trotten, aber man vorsichtig sein muss, wenn ein Bulle seine Blicke den Mädels zuwendet. Wenn ihn die Lust überkommt, achtet er nicht mehr auf den Verkehr.

Und auf meine Frage, ob es stimmt, was ich in einem Roman gelesen habe, dass ein Autofahrer, der jemanden bei einem Unfall verletzt oder tötet, von den Passanten halb tot geprügelt wird, bejaht Anil. Niemand komme einem dann zur Hilfe. Und ich solle übrigens keinem der lästigen Guides meine Ablehnung damit erklären, dass mein Fahrer mir das so gesagt habe, sonst bekomme er von denen auch Prügel.

Ich habe viel Zeit meinen Gedanken nachzuhängen. Man kann an Indien nur die pittoresken Facetten sehen und die harte Arbeit und Quälerei vergessen, die dahinter stecken, wenn eine Frau bei 35 Grad im nicht vorhandenen Schatten zweimal täglich verschleiert an der staubigen Straße entlang zum Brunnen und zurück marschiert mit einem Wasserbehälter auf dem Kopf. Man kann den Dreck fokussieren und die beißenden Feuer, in denen er verbrannt wird, die Ratten, die erbärmlichen Hütten aus Zeltplane am Wegesrand, in denen die Ärmsten der Armen leben, sich ob des Geruches angeekelt abwenden, der einen in den Städten schwallweise überkommt, wenn man unwissend an einem Straßenabschnitt vorbei geht, der offensichtlich und auch geruchlich weit vernehmbar offenbar mit einem unsichtbaren Schild "men's restroom" versehen ist. Man kann sich als Kolonialherr oder -herrin fühlen und mit dem Geld prassen und dem niederen Fußvolk hier und da einen Brocken hinwerfen. Oder man legt sich eben frühzeitig eine indische Gelassenheit zu, nimmt das Land hin und staunt über das Unfassbare und genießt das Wunderbare. Wieder mal fühle ich mich wie besoffen von diesem Land.

Wir erreichen Jaisalmer um 15.30 Uhr. Das Hotel The Royale war mir vorher schon im Internet aufgefallen und auch Anil hat es "im Angebot". Er ruft im Hotel an und kündigt an, sein Gast wolle das schönste Zimmer. Das bekomme ich auch. Ich kann mich wie eine orientalische Prinzessin fühlen, besonders in der breiten Nische direkt am Fenster, in der man hinter bunten luftigen Stoffbahnen auf einer Matratze sitzen und auf die Straße sehen kann.



Um 16 Uhr fahren wir wieder los und besuchen den Jaintempel außerhalb und anschließend den Sunset-Point, an dem den Mitgliedern der Rajafamilien Denkmäler gesetzt wurden.

Der Jaintempel ist ruhig, die Mitarbeiter wirklich freundlich. Kein Guide, niemand, der außer dem Eintritt Geld will. Ich wechsele ein paar Worte mit den Anwesenden. Kunstvolle Sandsteinarbeiten erwarten mich. Auch über die Jainreligion weiß ich eigentlich gar nichts, eine Bildungslücke, die gefüllt werden will. Einer der wenigen Momente, in denen ich eine Reisegruppe mit kompetenter Leitung vermisse.















Wir fahren weiter zum Sunsetpoint. Anil begleitet mich durch die Anlage. Das beschützt mich vor den Guides. Kinder fragen mich nach Chewingum und Chocolate. Als kurz vor Sonnenuntergang ein Reisebus eintrifft und eine Herde Franzosen das Gelände erobert, weiß ich aber wieder ganz genau, dass individuelle Reisen meins sind und ich keine geführte Tour will.

Während ich hinter den schönen Denkmälern und den modernen Windkraftanlagen dahinter den doch nicht ganz so idyllischen Sonnenuntergang beobachte, begreife ich wieder mal, dass Indien spürbar, zu erschmecken, zu riechen, zu sehen ist. Die Mischung macht es, nicht nur, aber auch der Wahnsinn zwischen der fremden Kultur, der Rückständigkeit und der modernen Errungenschaften, die beispielsweise den Fahrer eines Kamelfuhrwerkes lässig in Angeberpose auf der Ladung sitzend mit dem modernen Smartphone telefonieren lässt, als ob er sich auf dem Fahrersitz eines getunten klapprigen Opel Kadett befindet. Religiöse Musik auch hier im Hintergrund und über allem ein würziger Duft, während milde und nicht zu warme Luft mich einhüllt.







Zurück am Hotel quatsche ich noch ein bisschen mit Anil, wir trinken gemeinsam ein Bier. Ich verkrümel mich dann zum Essen auf die Dachterrasse, wo ein Musiker seine Weisen vorträgt und mich immer wieder zwischendurch anlacht. Er spielt zwischendurch mit einem Touristen gemeinsam, der seine Klampfe dabei hat, interkulturelles Verständnis eben.

Am Schluss des Abends erscheint auf meiner Rechnung, dass ich 2 Fruit Lassi hatte. Ich reklamiere. Die Lassi seien doch die Biere gewesen, erklärt man mir. Ach so, man hat sich also Neues einfallen lassen. Als Hiroko damals hier war, hat sie ihr Bier als Tee getarnt in einer Kanne bekommen.

Shadra

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #117 am: 08. November 2013, 08:46:32 »
Zitat
Man kann an Indien nur die pittoresken Facetten sehen und die harte Arbeit und Quälerei vergessen, die dahinter stecken, wenn eine Frau bei 35 Grad im nicht vorhandenen Schatten zweimal täglich verschleiert an der staubigen Straße entlang zum Brunnen und zurück marschiert mit einem Wasserbehälter auf dem Kopf. Man kann den Dreck fokussieren und die beißenden Feuer, in denen er verbrannt wird, die Ratten, die erbärmlichen Hütten aus Zeltplane am Wegesrand, in denen die Ärmsten der Armen leben, sich ob des Geruches angeekelt abwenden, der einen in den Städten schwallweise überkommt, wenn man unwissend an einem Straßenabschnitt vorbei geht, der offensichtlich und auch geruchlich weit vernehmbar offenbar mit einem unsichtbaren Schild "men's restroom" versehen ist. Man kann sich als Kolonialherr oder -herrin fühlen und mit dem Geld prassen und dem niederen Fußvolk hier und da einen Brocken hinwerfen. Oder man legt sich eben frühzeitig eine indische Gelassenheit zu, nimmt das Land hin und staunt über das Unfassbare und genießt das Wunderbare.

Ich glaube, besser kann man es nicht ausdrücken! Und man merkt beim lesen wirklich, dass du wohl diese Eindrücke und Erfahrungen gegen nichts hättest tauschen wollen. Ich bin schwer beeindruckt! Von den Bildern, von deiner Beschreibung, irgendwie von allem, was du uns von dort mitgebracht hast.
Schöne Grüße
Nele

Manche Menschen schwimmen mit dem Strom. Andere schwimmen gegen den Strom. Und ich steh hier mitten im Wald und find den blöden Fluss nicht!

Ilona

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #118 am: 08. November 2013, 08:49:33 »
Ohnehin wirkt kaum einer der Herren, mit denen ich bisher zu tun hatte, als ob er das Kama Sutra beherrscht.
Tja, Karl Mey war auch nie im Wilden Westen  :totlach:.

Die Gebäude oder überhaupt das filigrane Kunsthandwerk begeisterte mich schon immer :beifall:, vor Ratten ekle ich mich eigentlich nicht, doch im Tempel waren mir eindeutig zu viel  :verpiss:.
Liebe Grüße

Ilona

"Man muss viel laufen. Da man, was man nicht mit dem Kleingeld von Schritten bezahlt hat, nicht gesehen hat" (Erich Kästner)


Paula

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Re: Incredible India - meine neue, große, bunte, aufregende Liebe
« Antwort #119 am: 08. November 2013, 10:35:40 »
Hallo Birgit,

deine Bilder sind wirklich faszinierend, aber ich glaube virtuell ist mir Indien doch lieber. Ich stelle mir gerade vor wie du barfuß durch diesesn Rattentempel gehst  :verpiss:, es ist schon so dass man in den Tempeln die Schuhe ausziehen muss oder?

Die Probleme deines Fahrers kann ich mir auch gut vorstellen, ich war auch völlig entsetzt als ich gehört habe was unser Fahrer in Sri Lanka verdient hat. Einmal mußte er sich privat eine Unterkunft besorgen weil die Fahrerunterkünfte des Hotels völlig indiskutabel waren. Wir haben ihm an Ende ein eintsprechendes Trinkgeld gegeben. Und wir haben ihn auch immer zum Essen eingeladen. Insgesamt fand ich das aber schon bedrückend. Seither ist meine Lust in arme Länder zu reisen stark gefallen. Ich glaube in Indien ist es noch schlimmer, echte Bettler haben wir in Sri Lanka keine gesehen.
Viele Grüße Paula