Samstag: Tolles Frühstück, dann checken wir aus.
Da wir noch etwas Zeit haben, beobachten wir noch ein bisschen die „Upperclass-Indianer“ die in unserem 5-Sterne Hotel abgestiegen sind.
Die Kinder rennen im Schlafanzug durchs Foyer und jagen die hoteleigenen Pfauen.
Die Eltern schlurfen in den Hotelpantoffeln auch halb im Schlafanzug zum Frühstück. Natürlich jeder mit dem I-Phone im Anschlag, bis hinunter zu den Kleinsten.
Pünktlich wie immer machen wir uns auf den Weg.
Die Straße ist extrem gut ausgebaut, also wäre eine Reisegeschwindigkeit von 100 KMH kein Problem, wie uns auch die anderen Touristentaxis vormachen.
Aber unser HM gibt entweder nicht mehr als 60 Kmh her, oder unser Sturkopf sieht es nicht ein, schneller zu fahren.
So kann man die Zeit natürlich auch unsinnig totschlagen.
So hohle ich den Laptop aus den Kofferraum und schreibe an meinem Bericht weiter.
Harald meint, so wie ich auf die Tasten hämmere würde man genau hören, das ich eine Wut im Bauch habe!!
Naja, eigentlich wollte ich nicht fast doppelt so lange wie die anderen Touris im Auto hocken!
Nach 3 Stunden wüstes Ödland bei 60Kmh frage ich dann doch, ob Rakesch nicht schneller fahren könnte? Immerhin wären die anderen Touristen längst da.
Er lächelt kommentarlos und erhöht die Reisegeschwindigkeit um 5 kmh.
Dass die Straße so gut ist, liegt an der Nähe zur pakistanischen Grenze.
Von unserem Hotel waren es nur noch 70 km. Deshalb ist die Militärpräsenz auch beeindruckend. Riesige Konvois fahren auf der Straße und machen Manöver in der Wüste, lassen die Muskeln spielen.
„Schulbusse“ sind, bis unters Dach vollgestopft mit adretten, sauberen Kindern unterwegs.
Immer, wenn wir hinter so einem Vehikel, fahren rumort es im inneren.
Es wird beratschlagt und gekichert.
Sobald ich lächle, fangen ein paar ganz Mutige an zu winken.
Winke ich zurück, bebt das ganze Gefährt.
Sie sind einfach freundlich, aufgeschlossen und neugierig, das macht echt Spaß!
Endlich kommen wir, 50 Kilometer vor Bikaner, zur Abzweigung von Kolayat.
Ganz klar ist nicht was uns hier erwartet. Im Reiseführer, wo der heilige Ort als Geheimtipp angegeben wird steht nur, es wäre für die Sikh eine heilige Städte am See.
Wir fahren auf einer Staubstraße eine Weile durch ein Tonerdeabbaugebiet und sehen vor lauter Staub erst mal gar nichts.
Dann stehen wir aus heiterem Himmel im Stau.
Nichts geht mehr.
Rakesh bemüht sich um ein Weiterkommen, hat aber trotz lauten Palavers keinen Erfolg.
So verlassen Harald und ich das Auto und laufen einfach den bunten Menschenmassen nach.
Was wir hier erleben dürfen, ist definitiv der Höhepunkt unserer bisherigen Reise.
Wieder ist es sehr schwer zu beschreiben, was die Faszination dieses Ortes ausmacht.
Es ist eine Art Dorf an einem verlandeten See mit Tempel.
Wir geraten in die Vorbereitung zu einem Tempelfest, das am Folgetag stattfindet und sind die einzigen (weißen) Touristen.
Wir fühlen uns aber nicht unwillkommen oder gar bedroht - im Gegenteil.
Die Leute starren uns ungeniert, etwas skeptisch, an.
Wenn wir sie mit dann mit „Namaste“ grüßen, geht ein Strahlen über die Gesichter und man grüßt freundlich zurück.
Junge Leute fragen uns, wo wir herkommen.
Ältere, vor allem Männer, bedeuten uns mit Hand und Fuß, wir sollen sie fotografieren und lachen sich dann über ihre Bilder im Display kaputt.
Auf diese Weise verursachen wir so manchen Menschenauflauf.
Wir fühlen uns ins Geschehen eingebunden und posieren natürlich auch gerne für diverse Fotohandys.
Ein Männlein sitzt inmitten von seinen Utensilien auf einer Decke und zeigt auf diverse Postkarten mit Hindugottheiten und auf einen 10 Rupees Schein.
Zuerst meinen wir, er möchte uns die Postkarte verkaufen aber nach einiger Zeit kommt heraus, wir sollen uns eine Gottheit aussuchen und für 10 Rupees betet er für uns.
Das scheint uns sinnvoll investiertes Geld, und so geben wir das Gebet in Auftrag.
Wir sind fast traurig, als wir gehen müssen, aber die Fahrt geht ja weiter nach Bikaner.
In Bikaner angekommen machen wir einen Spaziergang durch die Altstadt. Es ist unglaublich voll und der Gestank der aus den offen verlaufenden Abwasserkanälen aufsteigt schlägt mir (wiedermal) auf den Magen.
Als der Zug mitten durch die Stadt fährt, ignorieren alle die heruntergelassenen Schranken.
Erst kurz vor knapp räumen die Menschen mit ihren Fahr- und Motorrädern die Schienen.
Wir fahren in unser Hotel.
Wir nächtigen heute im Museum.
Es handelt sich um einen originalen Maharadscha-Palast, der 1903 erbaut wurde. Nahezu alles ist im Originalzustand belassen.
Wir erfahren, dass wir wieder ein Upgrade erhalten in die Maharadscha-Suite!
Diese hat selbiger noch bis in die 50er Jahre selbst bewohnt.
Die Suite besteht aus mehreren Zimmern. Wir schätzen die Gesamtgröße auf über 100qm.
Wenn uns der Sinn nach Hausmusik stehen würde, könnten wir am eigenen Piano musizieren!
Der Charme des Zimmers ist jedoch auch ziemlich morbide. Vor allem mit dem steinalten Teppich stehe ich auf Kriegsfuß.
Dieser riecht ziemlich „antik“ um es vornehm auszudrücken.
Wir schlendern etwas durchs Hotel, fahren mit dem ältesten Aufzug der Menschheit (rein mechanisch mit Scherengittern, unglaublich).
Dann fallen wir totmüde in Maharadschas Bett, zu dem übrigens 3 Stufen hinauf führen.
Sonntag: Pünktlich um 9 Uhr kommt Rakesh uns mit den HM abholen.
Wir wollen das Fort besichtigen, haben uns aber in der Zeit vertan.
Dieses öffnet erst in einer Stunde. Also streichen wir die Besichtigung kurzerhand und lassen diese Stadt (doch rech gerne) hinter uns.
Als nächstes steuern wir den Rattentempel in Deshnoke an, auf der Suche nach der weißen Ratte, die bekanntlich haufenweise Glück bringen soll.
Wir sind sehr froh über unsere OP-Plastik-Socken…. Eine deutsche Reisegruppe mit Rentnern, die den Tempel zeitgleich betritt, verlässt nach 2 Minuten fluchtartig den heiligen Ort.
Naja, dass es im Rattentempel Ratten gibt, sollte eigentlich schon vorher klar gewesen sein.
Wir bleiben 45 Minuten und sehen die weiße Ratte leider nicht, nur normale.
Also kein Glück für uns.
Wieder sind wir interessanter als die Nager.
Ich soll ein Baby fürs Foto halten aber das schreit, wegen der großen weißen Frau, die es auf den Arm nehmen soll, wie am Spieß und so gebe ich es der Mutter lieber zurück.
Die Fahrt geht weiter in Richtung Mandawa zur Besichtigung der bekannten, rund 100 Jahre alten Kaufmannshäuser, den Havelis.
Rakesh begleitet uns durch das malerische Örtchen und zeigt uns die schönsten Exemplare.
Für indische Verhältnisse geht es hier sehr beschaulich zu.
Gegen Abend fährt er uns in unser Hotel, ein 125 Jahre altes, mit viel Liebe und Aufwand restauriertes Haveli.
Wir haben die Suite gebucht und bekommen sie auch – schlafen im Puppenhaus – wir sind uns einig: So was Schönes haben wir noch nie gesehen, wir sind hin und weg!!
Man macht eine Hausführung mit uns, zeigt uns die voher - nacher-Galerie und verschiedene Räumlichkeiten mit zum Teil noch 125 Jahre alten, unrestaurierten Wandmalereien.
Wieder in unserem Puppenstübchen angekommen, in dem man nicht größer sein sollte als 1,80 Meter (die Inder vor 100 Jahren müssen noch kleiner gewesen sein als sie heute eh noch sind) möchte ich baden und setze aufgrund eines defekten Schlauchs das ganze Obergeschoß (ja, das Bad ist auf der Galerie mit Blick aufs Bett) unter Wasser.
Anruf bei der Rezeption, Panik bricht aus und gefühlte 100 Leute stürmen unser Zimmer.
Wir machen lieber mal Platz und nach 30 Minuten ist die Leitung tatsächlich dicht und das Wasser aufgewischt (wundersames Indien…)
Wir beschließen nur weißen Reis zu Abend zu essen, da ich zunehmend das indische Essen nicht mehr vertrage.
Ein Löffel Curry und ich habe schreckliches Sodbrennen, kenne ich so gar nicht.
Während wir unseren Reis löffeln schauen wir einer Marionettenvorführung zu, bei der wir die einzigen Gäste sind zu.
Die Reisegruppe, mit französischen Rentnern (es scheinen eh nur Rentner oder Studenten dieses Land zu bereisen) die kurz nach uns lautstark über das nette Hotel hereingebrochen ist, interessiert sich nicht die Bohne für die Bemühungen der Marionettenspieler.
Und so kaufe ich, halb aus Mitleid, halb aus wirklichem Interesse, 2 Marionetten, für die ich, trotz zäher Verhandlung, natürlich viel zu viel bezahle. Aber es trifft sicher keinen Falschen.
Am nächsten Morgen fallen die Franzosen vor uns aus, und es ist dann wieder herrlich ruhig.
Ich fotografiere vom Dach noch ein paar Pfauen, die auf der Straße im Müll nach Essbarem suchen.
Um 10 Uhr geht es weiter nach Jaipur.
Die Fahrt dauert 4 Stunden und man merkt mit jedem Kilometer, es geht Rajasthans Hauptstadt und dem Ballungsgebiet entgegen.
Die Straßen werden noch voller, dreckiger und wir sehen die ersten echten Zeltslums, von denen Harald in Windeseile ein verstecktes Foto macht.
Jaipur hat offiziell 4 Mio. Einwohner. Wer‘s glaubt wir selig!! Jedes Quadratzentimeterchen wird genutzt. Harald meint, er ist ja schon in Guatemala und Mexiko-City selbst Auto gefahren und auch auf Bali im Linksverkehr.
Aber hier: NEVER EVER!
Ich mag Jaipur auf Anhieb. Natürlich ist es hier keinenfalls sauberer, leiser oder leerer, aber die Stadt strahlt eine Energie und Geschäftigkeit aus, die mich sofort fasziniert.
Wenn ich irgendwo noch gerne einen Tag länger gehabt hätte, wäre es in Jaipur gewesen.
Unser Hotel hat 5 Sterne, ist nagelneu und es ist ein Genuss mal wieder modern zu wohnen.
Ich will schon seit Tagen den Film Ram & Leela sehen, der überall heftigst beworben wird und von dem ich mir schon den Soundtrack in Mumbai gekauft habe.
Und wieder gibt es Diskussionen mit unserem Rakesh.
Er geht mit seinen Touristen immer ins selbe Kino in Jaipur und da läuft der Film nicht.
Also sollen wir bitte einen anderen Film schauen (so siehst du aus!!)
Ich sage freundlich aber bestimmt, diesen Film oder keiner!
Letzen Endes lautet der Kompromiss wie folgt: Wir erkundigen uns im Hotel, wo und wann der Film läuft, reservieren Karten und er bringt uns hin.
Na also, geht doch.
Und so machen wir uns um 15 Uhr auf ins neueste Kino der Stadt, direkt im Einkaufszentrum um die Ecke.
Und wieder eine Überraschung.
Der Eintritt kostet 2,50 Euro und wir haben noch nie ein so schönes, modernes, sauberes Kino von innen gesehen!!
Liegesitze – alle Wetter.
Wir nehmen Rakesh mit ins Kino. Es ist sichtlich beeindruckt.
Der Film ist Romeo und Julia auf indisch und ich muss, beim unvermeidlichen Ende, so weinen!
Peinlich, peinlich aber die indischen Jugendlichen freut’s.
Im übrigen herrscht tolle Stimmung im Kino. Wenn der Held oder die Heldin auf der Leinwand erscheinen, wird gejohlt und gepfiffen. Es wird gelacht und gesungen. Kein Wunder: Ein toller Film!
Anschließend laufen Harald und ich noch durchs Einkaufszentrum und gehen in den Pizza Hut.
Noch ein Löffel Massala oder Curry und ich hätte einen Krieg angezettelt.
Ich schwöre feierlich, nie wieder auch nur einen Bissen indisches Essen zu mir zu nehmen, für ein Teller Spagetti könnte ich einen Mord begehen!