Autor Thema: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014  (Gelesen 36734 mal)

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #15 am: 23. Juni 2014, 14:44:42 »
Flicka, ich empfehle intensives Austesten der Piroggen. Durch praktische Übung setzt sich das bisher nur theoretische Wissen am besten :P Leider hatte ich irgendwann nach der 5. Portion in 3 Tagen den Eindruck, die Piroggen wachsen mir zu den Ohren wieder raus, aber inzwischen könnte ich schon wieder welche essen.

Idefix grüßt zurück, er steht derzeit 30 Meter weiter in der Prüfhalle, flirtet mit den Autos und den Ingenieuren und wartet darauf, dass es später wieder nach Hause geht.  :adieu:

Heiko, danke. Genau nach einer solchen Grafik habe ich gesucht, ich war mir nicht sicher, wo die Grenzen früher genau lagen. Und, ja sicher, Weißrussland ist eigentlich kein baltischer Staat, aber irgendwie sortiere ich das Land im Kopf immer ein bisschen dahin. Ich dachte aber auch, dass Vilnius und Riga mal polnisch waren, aber da kann auch was in meinem Kopf verquer gegangen sein?

Breslau war für mich eigentlich nur so ein Zwischenstopp, denn bei der Anreise nach Krakau wollte ich über Auschwitz fahren, und das hätte an einem Tag von Erfurt aus nicht geklappt. Leider habe ich von Breslau nur einen äußerst oberflächlichen Eindruck, aber bei Bedarf kann ich den ja noch vertiefen ;)

Heiko

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #16 am: 23. Juni 2014, 15:44:49 »
Ich dachte aber auch, dass Vilnius und Riga mal polnisch waren, aber da kann auch was in meinem Kopf verquer gegangen sein?

Für Vilnius und sein Umland trifft dies auch zu, es gehörte für einige Jahre unfreiwillig zu Polen. Der größte Teil der polnischen Bevölkerung wurde nach Beendigung dieser Epoche aber nach Sibirien "umgesiedelt".
Gruß
Heiko

Nur wo du zu Fuß warst, bist du auch wirklich gewesen. (Johann Wolfgang von Goethe, 1749 - 1832)

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #17 am: 23. Juni 2014, 16:32:46 »
Ah, beruhigend, dann habe ich ja zumindest nicht zu überbordende Phantasie bewiesen. Also, vielleicht habe ich gegen Sibirien auch Vorurteile, aber ich denke, dann doch lieber Breslau als Nowosibirsk ;) Wobei ich um das Abi herum mal im Rahmen einer Gruppenreise in Irkutsk, bzw. am Baikal war und es bei tollem Wetter im August durchaus attraktiv fand dort :) So ein bisschen skandinavische Ferienstimmung... bis man dann einen "Supermarkt" betrat ;)

Woher weißt du so viel über Polen, Heiko? Ich habe mich nur irgendwann mal vor der Reise gefragt, wo denn Polen "eigentlich" ist bzw. war, wenn doch bis weit an die östliche Grenze Polens über lange Zeit Deutschland war. Das mit der Westverschiebung war mir wie so viel anderes bezüglich des Landes gar nicht wirklich bewusst.

Ohnehin hat diese Reise eine Menge an nur halb bewusstem und schon längst wieder verschüttetem zeitgeschichtlichem Wissen aufgefrischt bzw. erst einmal geschaffen.

Heiko

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #18 am: 23. Juni 2014, 17:08:09 »
Die Zugehörigkeit von Wilna zu Polen wusste ich jetzt auch nicht mehr wirklich genau, aber das Internet hilft einem doch schnell weiter.

Ansonsten hatte ich in meinen Leben ein paar Jahre, in der ich mich intensiv mit dem deutschen Osten der letzten Jahrhunderte und der Gegend beschäftigt habe. Ich habe sehr viele Bücher über dieses Gebiet gelesen und dabei ist Polen natürlich immer mal einbezogen. Das hat mich aber alles aus geschichtlicher Richtung interessiert, nicht dass mir hier noch nationalistische Tendenzen zugeordnet werden. Ich hatte zu Studienzeiten ein paar Bekannte, die aus Ostpreußen stammten und die mein Interesse für dieses Gegend geweckt haben. Einiges davon ist halt noch bis heute hängengeblieben.
Gruß
Heiko

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Flicka

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #19 am: 23. Juni 2014, 17:56:13 »
Puh, ganz unverkrampft scheint unser Umgang mit unseren östlichen Nachbarn noch nicht zu sein.

Heiko, ich wäre nicht auf die Idee gekommen, dir irgendwelche nationalistischen Tendenzen zu unterstellen, weil du dich mit dieser Gegend intensiver beschäftigt hast. Aber ich vemute mal, dass du schon auf entsprechendes Naserümpfen gestoßen bist, wenn du dich zu einer "Erklärung" für dein Interesse veranlasst siehst.

Kennt ihr eigentlich das Buch "Viva Polonia"?
http://www.amazon.de/Viva-Polonia-deutscher-Gastarbeiter-Polen/dp/3596180457/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1403538765&sr=8-1&keywords=viva+polonia

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #20 am: 23. Juni 2014, 20:01:59 »
Zitat
Puh, ganz unverkrampft scheint unser Umgang mit unseren östlichen Nachbarn noch nicht zu sein.

Wahrscheinlich nicht. So ein bisschen bin ich da ins Grübeln gekommen bei der Frage, ob ich Breslau oder Wroclaw, Danzig oder Gdansk schreibe. Und ich denke, es gibt tatsächlich alte Menschen, für die es immer noch im Geiste Deutschland ist, auch ohne dabei stramm zu stehen, aber sicher auch welche, für die es mit den entsprechenden Hintergedanken Deutschland ist.

Es waren auch auffällig viele deutsche Reisegruppen alter Menschen unterwegs, ganz offenbar auf Nostalgiereise.

Aber das Land hat eben wahnsinnig viel an immer noch präsenter Entwicklung der letzten 100 Jahre zu bieten, dass es einen tatsächlich dazu zwingt, sich mit bestimmten Phasen auch deutscher bzw. europäischer Geschichte zu befassen.

Aber gerade auch, weil man unweigerlich in gewisser Weise immer wieder dazu angehalten ist sich zu positionieren, ist das Reiseland auf ganz andere Weise interessant als ein Land, in dem halt nur mal in grauer Vorzeit ein Mitglied einer deutschen Adelsfamilie irgendwo eingeheiratet hat.

Und letztlich begann das Positionieren schon an diesem ersten Abend in Breslau, als ich gar nicht so recht wusste, ob ich dem Kellner nun auf Deutsch oder Englisch antworte, als er mich auf Polnisch ansprach. Ich habe mich dann im Laufe des Urlaubs entschieden, andere grundsätzlich auf Englisch anzusprechen. Ältere konnten oft Deutsch und haben dann ins Deutsche gewechselt bzw. mich von sich aus auf Deutsch angesprochen, wenn sie bemerkt haben, woher ich komme. Jüngere Leute sprechen oftmals fließend Englisch.

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #21 am: 24. Juni 2014, 08:19:32 »
Heute wird es - zumindest zunächst - erst einmal nicht sehr lustig :(

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #22 am: 24. Juni 2014, 08:23:04 »
SO, 8.6.2014: Auschwitz und nach Krakau

Ich erwache mit einem Brummschädel. Ich habe es mal wieder nicht hinbekommen, die Klimaanlage ordentlich einzustellen, also wurde es im Laufe der Nacht immer heißer und stickiger.

Ich brauche daher auch ein bisschen, bis ich in die Gänge komme. Ein Kaffee und ein paar Kekse im Zimmer ersetzen das Frühstück im Hotel.

Fix und freundlich werde ich ausgecheckt und es geht weiter zum nächstes Ziel. Die Autobahn ist heute am Sonntag leer. Sie ist zwischen Breslau und Kattowitz mautpflichtig. Ich zahle etwas mehr als vier Euro. Man zieht einfach am Anfang der Mautstation eine Karte. Am Ende der Mautstrecke gibt man am Kassenhäuschen Geld ab. Ich möchte in Euro zahlen, das geht problemlos.

Das bedrückende Auschwitz wartet. Das ist keine Filmkulisse, sondern alles ist Wirklichkeit, was es da zu sehen und zu erfahren gibt.

Der Ort an sich wirkt noch sehr wie Osten. Das ist dem Bahnhof geschuldet, der sicher weit vor der Wende errichtet wurde. Ganz nah sind die Gedenkstätten Auschwitz und Birkenau. Ob die Einwohner hier wirklich nicht ahnten, was hier passierte? Und wie ist es wohl gewesen für einen SS-Menschen, der abends nach der Schicht zurück kam zu Frau und Kind, nachdem er zuvor den ganzen Tag bei den ankommenden Zügen eingeteilt hatte, wer nach rechts zum arbeiten musste und wer nach links musste zum Sterben?

Ich bekomme eine Marke für eine Führung, die um 12.30 Uhr beginnen soll. Am Eingang steht, dass man nur mit Führung rein darf. Ich gehe lieber allein, ich mag nicht in einer Herde herumlaufen. Das machen außer mir noch andere so, niemand hält uns davon ab.

Die Marke, die ich für die deutsche Führung bekommen habe, ist braun, wenn auch ein wenig ins Orange tendierend. Absichtliche Assoziation? Ich bin 1968 geboren, trotzdem frage ich mich, wie ich als Deutsche nun mehrere Generationen später damit umgehen soll, was meine Vorfahren hier völlig überzeugt getan haben. Das "Vernichten" von Menschen offensichtlich in erster Linie ein logistisches Problem, und hier erfahre ich, wie dieses optimiert umgesetzt wurde.

Ich denke daran, wie selbstverständlich ich schon in so vielen Ländern aufgenommen wurde und schäme mich für meine Landsleute, die heute wieder Parolen schreien und selbstverständlich genau wissen, wer schuld ist daran, dass es ihnen selbst nicht noch einen Tick besser geht.

Die Anlage selbst wirkt trotz des vielen Stacheldrahtes irgendwie friedlich. Das Grauen wird sehr dezent beschrieben. Ich finde es gut, dass die Gedenkstätte nicht reißerisch aufgemacht ist und ein bisschen schade, dass es keine Audiotour gibt. Überall sehe ich bedrückte Mienen, auch wenn es hier eigentlich nicht viel Furchtbares zu sehen gibt. Im Gegenteil, hätte man mir zu den roten Backsteingebäuden mit den grünen Wiesen dazwischen beschrieben, dass es sich um eine Art Erholungsheim wie Prora gehandelt hat, hätte ich es geglaubt, wüsste ich es nicht besser.

Vielleicht wäre es doch gut gewesen auf die Führung zu warten...











   

Nach Auschwitz fahre ich noch mit dem Shuttle die kurze Strecke nach Birkenau. Das ist ein riesiges Gelände. Die, die hier auf Herrenmenschen gemacht haben, haben sich dann doch noch in die Hosen geschissen und in letzter Minute versucht alle Beweise zu vernichten und das Lager abzubrennen. Das gelang zum Glück nicht. Es bleibt ein riesiges Feld mit teilweise erhaltenen Baracken, dem Einfahrtstor und den Schienen, auf denen die Züge einfuhren.





Es ist heiß, ich habe nun genug des Bedrückenden gesehen, halte es auch nicht mehr aus, und mache mich auf die letzte Etappe nach Krakau. Die Kopfschmerzen sind weg. Vielleicht war doch nicht das Raumklima letzte Nacht schuld, sondern der anstehende Besuch in Auschwitz?

Ich entscheide mich der Navi zu trotzen und die Landstraße zu fahren um ein bisschen davon näher betrachten zu können. Es geht durch nette Dörfer, sehr gepflegt, sehr sauber. Vor allem die Kirchen sind schmuck hergerichtet. Ein bisschen ist es wie durch Bayern zu fahren mit der etwas welligen Landschaft und den Kirchen oft auf erhöhten Plätzen.

Auch in Krakau finde ich mein Hotel schnell. das Galaxy-Hotel liegt wiederum neben einer Shoppingmall: Sehr modern, sehr edel wirkend. In der Tiefgarage steht auch hier mein Auto sicher. Allerdings läuft man ein bisschen in die Stadt, aber das macht nichts, Idefix bringt mich schnell hin über den schönen Weg an der Weichsel entlang.

Idefix und ich machen uns auf den Weg in die Stadt. Herrliches Wetter, ein schöner Weg durch Parkanlagen immer am Wasser entlang. Am Wegesrand und auf Restaurantschiffen sitzen Leute. Radfahrer, Inlineskater und viele, viele Fußgänger sind unterwegs - und eine Rollerfahrerin.





   

Ich fahre an dem Haus vorbei, in dem Johannes Paul II früher gelebt hat. Ich wurschtele mich durch in die Stadt zum hiesigen Rynek, ein riesiger Platz, mitten darauf die riesige Tuchhalle, und so viele Kneipen sind drum herum! Und was für ein Glück, irgendwo in einer dieser Kneipen gibt es in der ersten Reihe einen Platz für mich. Und hier gibt es Piroggen und viel Wasser.

Ich habe Zeit genug die vielen schönen Kutscherinnen und die schönen Kutschen und schönen Pferde anzusehen, die hier abfahren. Die Kutscherinnen sind bildschön und fein gemacht in schwarz-weißer Kleidung und mit Hut.

Ich gehe einmal um die riesige Tuchhalle herum und durch sie hindurch. Ich roller hierhin, dahin, dorthin, noch ein Eis zwischendurch, viele, viele Fotos.

 



















           

Dann mache ich mich doch noch auf zum Wawel, der Burganlage, schon mal schauen, was es hier so gibt. Idefix darf leider nicht hier hoch. Mein Polnisch reicht nicht aus um dem strengen Wächter zu erklären, dass er ein harmloser, kleiner Roller ist und kein großes, böses Fahrrad. Es hilft nichts, ich muss ihn hier anbinden.

Ich schaue von hier auf den Fluss und gehe einmal herum, morgen komme ich wieder.



 







 

Idefix und ich machen uns wieder auf den Weg. Am Fluss sitze ich eine ganze Zeit, schaue auf das Wasser und lasse mich von Mücken zerstechen, während ich den Reisebericht zu schreiben beginne. Irgendwie bin ich jetzt in Polen angekommen: Ich erkenne die Münzen und kann einen guten Tag wünschen.





   

Ich roller weiter nach Kazimierz, in das alte jüdische Viertel. hier gibt es eine Menge Kneipen, in denen alles nur etwa zwei Drittel von dem kostet, was es am Rynek kostet.

Sehr lecker werde ich satt, trinke ein Bier dazu. Es ist so warm, ich sitze noch ewig draußen und roller dann zurück zum Hotel. Idefix darf mit ins Zimmer, dann muss ich ihn nicht noch ins Auto wuchten.

Andrea

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #23 am: 24. Juni 2014, 08:51:57 »
Birgit, danke, dass du so offen deine Gedanken und Gefühle zu Auschwitz/Birkenau beschreibst. Das trifft genau meine Gedanken und Gefühle, wenn ich an dieses Thema denke und sicher auch die von vielen anderen.
Liebe Grüße, Andrea



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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #24 am: 24. Juni 2014, 10:39:43 »
Das ist wirklich sehr bedrückend, selbst wenn man nur davon liest. Das schöne Wetter wirkt dort irgendwie unwirklich.


Viele Grüße
Nadine

Paula

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #25 am: 24. Juni 2014, 10:41:17 »
Oh es geht nach Polen, da bin ich natürlich auch dabei! Wir haben auch schon mal eine Polenreise überlegt, allerdings sollte es mehr zum wandern gehen und da waren die Informationen etwas spärlich und das ganze schien uns logistisch schwieriger. Ein polnischer Kollege von meinem Freund hat ihm dringend abgeraten mit seinem Mercedes nach Polen zu fahren, seiner war ihm nämlich beim Besuch in der Heimat gerade geklaut worden. Also Vorurteile hin oder her, das hat uns doch abgeschreckt.

Im Ausland spreche ich übrigens generell englisch wenn ich die Landessprache nicht beherrsche, wenn mir dann jemand auf deutsch antwortet spreche ich auch deutsch, aber sonst nicht, damit fühle ich mich immer am wohlsten. Die Lösung für polnische Städte deutsche Namen zu verwenden die schon vor dem dritten Reich gebräuchlich waren finde ich gut. Allerdings wüßte ich gar nicht welche Städte erst in der Zeit umbenannt wurden. Aber die polnischen Namen sind oft solche Zungenbrecher dass ich wahrscheinlich über jeden deutschen Namen froh wäre. Polnisch soll auch schwer zu lernen sein.

In Auschwitz war ich noch nicht aber in Dachau und Yad Vashem und da habe ich beide Male an einer Führung teilgenommen, ich glaube das war schon gut so, denn man erfährt doch viel was man den Gebäuden undsoweiter gar nicht ansieht. Danach war ich so fertig dass ich nicht weiß ob ich bei einem Polenbesuch Ausschwitz besuchen würde. Prinzipiell finde ich das gut aber eine extreme psychische Belastung ist das wirklich!

Breslau und Krakau haben mir bis jetzt sehr gut gefallen! Wie war es übrigens mit der Verständigung, gibt es genügend Leute die englisch sprechen, sind die Speisekarten zweisprachig? Piroggen sehen schon mal sehr lecker aus, ich bekomme gerade Hunger  :sabber:
Viele Grüße Paula

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #26 am: 24. Juni 2014, 11:14:46 »
Zitat
Oh es geht nach Polen, da bin ich natürlich auch dabei! Wir haben auch schon mal eine Polenreise überlegt, allerdings sollte es mehr zum wandern gehen und da waren die Informationen etwas spärlich und das ganze schien uns logistisch schwieriger.

Hm, ich bin ja nun nicht soooo die Wandersfrau. Grundsätzlich wird das sicher gut gehen, wobei ich das nur für den Norden sagen kann, denn in der Tatra oder im Riesengebirge war ich wie gesagt nicht. Es ist aber anders als beispielsweise in den USA oder auf Madeira: Mir sind beispielsweise keine Trailbeschreibungen im großen Stil ins Auge gefallen, sodass man eben sehen müsste, ob und wie man sich einen ordentlichen Wanderführer besorgen kann.

Zitat
Ein polnischer Kollege von meinem Freund hat ihm dringend abgeraten mit seinem Mercedes nach Polen zu fahren, seiner war ihm nämlich beim Besuch in der Heimat gerade geklaut worden. Also Vorurteile hin oder her, das hat uns doch abgeschreckt.

Ja, das Geunke habe ich vorher auch anhören müssen ("Wie fit bist du denn mit dem Roller? Schaffst du es denn auch von der Ostsee bis nach Erfurt, wenn dein Auto weg ist?" usw.)

Also, Mercedes ist nicht meine Liga. In Polen fahren aber mittlerweile so viele große, schöne, imposante Autos herum und im Reiseführer stand auch, dass die Autodiebstähle deutlich zurückgegangen sind. Genaue und atuelle Zahlen müsste man sich natürlich ansehen. Ich denke aber rein vom Gefühl her, dass das mit den Autodiebstählen mittlerweile eher Sage (wenn auch nicht Märchen) als Tatsache ist. An vielen Sehenswürdigkeiten gibt es bewachte Parkplätze. Bei der Einfahrt bekommt man eine Art Ticket mit dem eigenen Kennzeichen und kann den Parkplatz nur nach Vorlage und natürlich Zahlung verlassen. Viele Hotels haben Garagen oder Parkplätze.

Zwei Mal habe ich an der Straße geparkt und hatte beim ersten Mal im Hotel gefragt, ob das OK sei und habe keine erschrockenen Blicke geerntet. Im Nachhinein habe ich mich dann gefragt, was ich da wohl selbst erwartet habe, etwa, dass der Rezeptionist sagt: "Ach, nee, du, fahr lieber in ein Parkhaus, hier werden die Autos aus dem Westen schon noch eher mal geklaut"?

Zitat
Im Ausland spreche ich übrigens generell englisch wenn ich die Landessprache nicht beherrsche, wenn mir dann jemand auf deutsch antwortet spreche ich auch deutsch, aber sonst nicht, damit fühle ich mich immer am wohlsten. Die Lösung für polnische Städte deutsche Namen zu verwenden die schon vor dem dritten Reich gebräuchlich waren finde ich gut. Allerdings wüßte ich gar nicht welche Städte erst in der Zeit umbenannt wurden. Aber die polnischen Namen sind oft solche Zungenbrecher dass ich wahrscheinlich über jeden deutschen Namen froh wäre. Polnisch soll auch schwer zu lernen sein.

Na ja, für den unaussprechlichen Aschespucker auf Island gibt es auch keinen deutschen Namen und alle Welt musste sich die Zunge brechen bei dem Versuch über ihn zu schimpfen, als seine Aschewolke das Fliegen verhindert hat.

Ich gebe zu, ein wenig ist es auch Bequemlichkeit, aber letztlich sind auch bei Google Maps die Städte unter dem alten deutschen Namen auffindbar. Und solange man mir keine falschen Tendenzen unterstellen kann, bin ich eben auch gerne bequem.

Zitat
In Auschwitz war ich noch nicht aber in Dachau und Yad Vashem und da habe ich beide Male an einer Führung teilgenommen, ich glaube das war schon gut so, denn man erfährt doch viel was man den Gebäuden undsoweiter gar nicht ansieht. Danach war ich so fertig dass ich nicht weiß ob ich bei einem Polenbesuch Ausschwitz besuchen würde. Prinzipiell finde ich das gut aber eine extreme psychische Belastung ist das wirklich!

Ja, es war auch sehr belastend. Ich fahre ja mehrfach im Monat an Weimar vorbei, und KZ Buchenwald hat ein weithin bis zur Autobahn sichtbares Denkmal. Da läuft es mir auch immer noch eiskalt den Rücken runter. Dort war ich nur einmal ganz zu Beginn meiner Erfurtzeit. Ganz in der Nähe des KZ sind so... weiß nicht, vielleicht alte Kasernen oder so, jedenfalls irgendwelche Plattenbauten, von denen ich nicht einmal weiß, ob sie erst zu DDR-Zeiten errichtet wurden. Ich fand es irgendwie völlig abstrus, als ich nach dem Besuch wieder fuhr und vor diesen Bauten saß völlig unbefangen eine Gruppe Jugendlicher feiernd mit den Bierflaschen in der Hand...

Zitat
Breslau und Krakau haben mir bis jetzt sehr gut gefallen! Wie war es übrigens mit der Verständigung, gibt es genügend Leute die englisch sprechen, sind die Speisekarten zweisprachig? Piroggen sehen schon mal sehr lecker aus, ich bekomme gerade Hunger
 

Ja, wie gesagt, unter den älteren Kellnern findet man oft eher noch Deutschkenntnisse, bei den Jüngeren oft sehr gute Englischkenntnisse. Auch im Hotel oder beim Parken oder an den Sehenswürdigkeiten klappte alles gut in meistens sehr gutem Englisch oder etwas schlechterem Deutsch.

Nach einer englischen Speisekarte muss man oft erst fragen, ich habe aber immer eine bekommen. Und oft sind Speisekarten auf Polnisch, Englisch, Deutsch und vor allem ganz im Osten (Danzig, Masuren) auf Russisch erhältlich.

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #27 am: 24. Juni 2014, 11:15:59 »
Das ist wirklich sehr bedrückend, selbst wenn man nur davon liest. Das schöne Wetter wirkt dort irgendwie unwirklich.

Ja, genau auf den Punkt gebracht: Strahlende Sonne, friedlich und sogar nett anzusehende rote Backszteinhäuser, üppige grüne Wiesen, alles irgendwie fast schon nostalgisch angehaucht, wenn nur nicht... wenn nur nicht... :(

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #28 am: 24. Juni 2014, 15:07:29 »
Noch ein paar Rechercheergebnisse zum Thema des Autodiebstahls in Polen:

Einmal dieser Link aus 2012

http://www.sueddeutsche.de/auto/zahl-der-autodiebstaehle-steigt-klauen-leicht-gemacht-1.1249133

Und dann habe ich eine Aufstellung gefunden, derzufolge 2010 unter den europäischen Großstädten beispielsweise Warschau an Platz 12 der Europa-Statistik stand mit 2,1 Diebstählen pro 1000 Autos direkt vor Berlin (1,8 pro 1000) und Stockholm (1,7 pro 1000). An der Spitze standen Brüssel, London, Amsterdam.

Birgit

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Re: 25 Jahre später... Eine Reise hinter die Mauer im Kopf - Polen 2014
« Antwort #29 am: 24. Juni 2014, 20:10:39 »
9.6.2014: Krakau erleben

Im Hotel ist es sehr leise, wenn man nur nicht das Zimmerfenster öffnet wie ich es gestern vor dem Schlafengehen gemacht habe. Der Lärm der Straße macht mich früh wach. Ich habe noch einige Zeit, erst um 10 Uhr öffnet das Museum in der Fabrik Schindlers. Also trinke ich in Ruhe Kaffee und surfe das Internet leer.

Als ich das Hotel verlasse, ist es schon sehr heiß, aber in Schindlers Fabrik ist es klimatisiert. Weil Montag ist, kostet es keinen Eintritt.

Das Museum zeigt die Entwicklung Krakaus von den ersten Anfängen der Besetzung der Stadt durch die Nazis über Schindlers Liste bis hin zu einem bedrückend kahl gehaltenen Raum, der an das Schicksal der vielen Juden der Stadt erinnert. Es ist sehr gut aufgemacht mit vielen Videos und Tondokumenten, allerdings ist es etwas unübersichtlich, sodass man bei den vielen Nischen und vor lauter Text und Bildern an den Wänden gar nicht weiß, was man denn lesen soll und wo man am besten anfängt.





 

Zum Museum gehört eine Cafeteria. Hier hoffe ich auf eine Kleinigkeit zum Frühstück und ein Wasser, aber irgendwie scheint die Cafeteria gerade okkupiert zu sein vom örtlichen Stromanbieter. Bedauernswerte Menschen in sicherlich viel zu warmen Tierkostümen in den Farben des Konzerns hüpfen herum und bespaßen Grundschulkinder.

Wo ich einen Kaffee bekomme, weiß ich nicht, aber irgendwie nehmen sich mehrere Leute Tellerchen mit Muffins und Becher mit Kakao, die offenbar kostenfrei für die Kinder hier stehen. Keine Ahnung, ob es sich hierbei um die Begleitung der Kinder handelt, die auch alle Muffins mampfen. Ich stibitze mir mangels Ansprechpartner für Kaffee und mangels Alternative auch etwas und hoffe, ich habe nun keinen Erstklässler um sein Frühstück gebracht.

Überhaupt ist es nicht das erste Mal in Polen, dass ich den Eindruck habe, dass es zwar Vorschriften gibt, dass aber niemand es krumm nimmt, wenn man sich nicht daran hält. Ist es Nachsicht oder Gleichgültigkeit oder Höflichkeit, dass man hier so ziemlich alles machen kann ohne zurechtgewiesen zu werden, Hauptsache man fährt nicht mit dem Roller auf den Wawel?

Ich gebe zu, ich habe ein wenig mit Polen gefremdelt. Zu viele Vorurteile im Kopf über Shoppingtouren von Deutschen eines gewissen Schlages knapp über die Grenze um Billigkram zu kaufen und zwei sehr kurze Eindrücke bei bisher zwei Hüpfern über die Grenze, jeweils schon vor vielen Jahren. Zu viele Vorurteile im Kopf zu bestimmten Typen, die ich zu sehen erwartet habe, zu viele Vorurteile im Kopf zu Relikten aus dem Sozialismus. Aber ich werde konsequent angenehm überrascht seit ich angekommen bin.

Ich binde Idefix vom Fahrradständer los und rollere Richtung Kazimierz zurück über die Weichsel. Hier will ich mich heute näher umsehen.

Kazimierz ist das alte jüdische Viertel, wohl seit einigen Jahren erst wiederentdeckt und sehr im Kommen. Mehrere Synagogen, zwei jüdische Museen, ein alter jüdischer Friedhof warten und viele, viele kleine Lädchen und Kneipen. Hier scheint auch die Backpackerszene zu Hause zu sein, darauf weisen zumindest die zahlreichen Hostels hin. Schaut man allerdings mal in den einen oder anderen Hinterhof der Wohnhäuser, gewinnt man einen Eindruck, wie dieses Viertel über mehrere Jahrzehnte ausgesehen haben muss.



















 

Ich besuche das Galicia Jewish Museum und das jüdische Museum in der alten Synagoge. Ich binde Idefix an und gehe zu Fuß durch die Gassen. Zum einen ist hier alles so dicht beieinander, dass das Rollern nicht lohnt, zum anderen macht es auf dem Kopfsteinpflaster, das hier überwiegend liegt, auch wenig Spaß.



 

In einer Kneipe werde ich hier allerdings veräppelt. Auf meiner Rechnung steht nur mein Essen, den Betrag für das Wasser nennt der Kellner mir mündlich. Ich bin ziemlich sicher, dass ich lauwarmes Leitungswasser statt des bestellten Mineralwassers mit Sprudel bekommen habe und der Kellner die 8 Zloty an der Kasse vorbei seinem Trinkgeld zugeführt hat, aber egal, das Essen war sehr gut.

Ich hole Idefix ab und roller nochmals zum Wawel um die Kathedrale zu besichtigen. Wieder darf Idefix nicht rein. Der gestrenge Wächter pfeift ihn unerbittlich zurück. Mich sticht der Hafer und ich beginne erneut eine Diskussion, dass Idefix kein Fahrrad sei. Das scheint gar nicht gut für den Blutdruck des gestrengen Wächters zu sein, und bevor ich riskiere erschossen zu werden oder ihm der Kopf platzt, binde ich Idefix lieber wieder an ein Metallgeländer.

Es ist viel los, vorwiegend Schulklassen von Grundschülern wuseln herum, aber auch ein paar Reisegruppen. Hier möchte ich nicht Lehrerin sein und ständig rote, weiße oder gelbe Kappen zurückpfeifen müssen.

Die Kathedrale gefällt mir übrigens gar nicht, auch wenn sie hoch gelobt wird. Sie hat kein durchgehendes Kirchenschiff, sondern ist ziemlich verbaut durch Unterteilungen. Mit den vielen Leuten bekomme ich fast Platzangst. Genervt mache ich mal wieder etwas unkommentiert bleibend Verbotenes. Ich winde mich um eine Absperrung herum und verlasse das Gotteshaus auf kürzestem Weg. Puuuuuh, bin wieder in Freiheit!



 

Runter geht es in Schussfahrt auf den Rynek. Ich will die Underground Tour besuchen und Krakau von unten besichtigen, finde sie aber nicht. Na, macht nichts. Ohnehin steht im Reiseführer, dass man die Tickets vorreservieren soll. Sicher ist es da deutlich kühler als hier, aber ein Eis tut seinen Dienst auch sehr schön.

Dafür gehe ich in die Marienkirche, die deutlich hübscher ist als die Kathedrale.





 
 




 



Nun ist es etwa 16 Uhr. Das Collegium Maius kenne ich noch nicht, das Universitätsviertel. Also los. Hübsche rote Backsteinbauten und eine ruhige Atmosphäre gibt es hier, besonders im schattigen Professorengarten.



   

Und nun? Ich erinnere mich an einen Flyer, den ein höflicher junger Mann mir heute Mittag in Kazimierz in die Hand gedrückt hat. Er preist Klezmermusik in der Isaak-Synagoge an. Ich krame ihn heraus und stelle fest, dass es gut passt mit dem Beginn um 18 Uhr, wenn ich über die begrünte Promenade rollere, die die Altstadt umgibt.

Das Konzert ist klasse. Die nicht einmal 40 Hände, die sich hier versammelt haben, spenden eifrig Applaus, und die Musiker haben ihn verdient.





Ich suche mir eines der nahen Restaurants und esse zu Abend. Heute trinke ich koscheren Wein zum Essen, irgendwie verführt Polen schon sehr zum Trinken, aber der Wein passt so schön zum Essen und der Stimmung und dem schönen Sommerabend.

Ich werde wie so oft ausgesprochen nett und höflich behandelt, ganz ohne dieses angestrengte "ich besinne mich ganz korrekt auf meine Manieren" so vieler deutscher Servicekräfte, aber ich habe heute ja auch schon eine andere Variante erlebt.

Ziemlich früh bin ich wieder im Zimmer. Der Tag war voll genug und durch die Hitze anstrengend. Heute entscheide ich mich für die Klimaanlage statt für das geöffnete Fenster.