Autor Thema: Das Rollparadoxon  (Gelesen 2263 mal)

Rainer

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Das Rollparadoxon
« am: 04. Dezember 2023, 16:01:18 »
Ich habe auf Youtube eine faszinierende Aufgabe gesehen, die ich mal mitteilen wollte. Diese Aufgabe ist aus einem Aufnahmetest amerikanischer Universitäten. Der Clou ist, dass zur Frage 5 verschiedene Antworten vorgeschlagen wurden, wovon eine offensichtlich richtig ist - oder eben auch nicht. Nur drei von vielen hundert (oder tausend) Studenten behaupteten, dass von den 5 Antworten überhaupt gar keine richtig ist und schlugen eine andere Antwort vor. Zunächst wurden sie über ihre Antwort verspottet - bis jemand die Richtigkeit der Antwort aufgezeigt hat. Danach hat sich das zuständige Institut bei den Studenten entschuldigt und die Aufgabe inkl. (falscher) Lösungen wurde aus der Prüfung gestrichen.

Ich werde jetzt nur die Aufgabe zeigen und direkt fragen, was denn Eurer Meinung nach da herauskommt. Die (falschen) Antworten aus dem Test lasse ich weg, das ändert nicht viel. Die richtige Auflösung ist (ohne zu viel zu verraten) im ersten Moment unfassbar.

Hier kommt eine Grafik mit zwei aneinanderliegenden Scheiben. Die linke Scheibe A hat nur ein Drittel des Radiuses der rechten Scheibe B. D.h. die rechte Scheibe hat den dreifachen Durchmesser. Nun wird die Scheibe A um die Scheibe B im Uhrzeigersinn herumgerollt (die kleine Scheibe rollt rechts herum an der großen Scheibe), bis sie wieder auf der Ausgangsposition eintrifft. Die Frage lautet: wieviele Umdrehungen macht die kleine Scheibe auf ihrem Weg um die große Scheibe?



P.S.: Der Vollständigkeit halber - hier die Antwortmöglichkeiten aus dem Test:

a) 2
b) 3
c) 2*π (zwei mal pi)
d) 6
e) 9

Susan

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #1 am: 04. Dezember 2023, 18:00:23 »
Hi,
man ist versucht, mit den Umfängen der beiden Scheiben zu rechnen. Der Kreis, den die kleine Scheibe beim Umlauf zurücklegt, ist aber größer als der Umfang der grossen. Daher ist tatsächlich keine der Lösungen richtig.
Ihr kommt drauf, wenn ihr das mal mit Geldstücken ausprobiert.
Liebe Grüße
Susan


Christina

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #2 am: 04. Dezember 2023, 18:07:03 »
Das ist genau die Art von Frage mit der ich überhaupt nichts anfangen kann :verlegen: Mir fehlt dafür völlig das räumliche Vorstellungsvermögen. Daher: keine Ahnung. Zum Glück gibt (oder gab's) keine solchen blöden Tests bei deutschen Unis.



LG Christina

Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #3 am: 04. Dezember 2023, 18:59:47 »
Der Kreis, den die kleine Scheibe beim Umlauf zurücklegt, ist aber größer als der Umfang der grossen.

Nein, so kann es man es eigentlich nicht begründen. Der Außenrand der kleinen Scheibe durchläuft durchaus genau den Umfang der großen Scheibe. Der Mittelpunkt der äußeren Scheibe durchläuft eine längere Strecke, aber der Mittelpunkt ist ja auch weiter entfernt und wie ist der Zusammenhang zu den Umdrehungen? Die Begründung ist auch in der Tat schwierig, ich habe mir selbst aber noch eine (bzw. sogar zwei) andere Begründungen überlegt, die vielleicht einfacher zu erklären sind.

Fakt ist, dass ich auch von vorneherein gesagt habe, b) ist die richtige Lösung (3 Umdrehungen). Ist doch logo... Ich hatte befürchtet, dass der Autor dann sagt, das ist aber falsch - und dann hat er es auch noch getan und ich habe es einfach nicht verstanden. In dem Video wird auch ein mathematischer Beweis angeführt, den finde ich aber schlechter zu verstehen als mein eigener Versuch.

Immerhin, wir sind in guter Gesellschaft, die Unis in den USA haben es ja auch alle falsch gemacht. Der Tipp mit den Münzen ist sehr gut, da wird man zumindest erkennen, dass irgendetwas verrücktes passiert (am besten 2 x 1 Euro benutzen). Bei zwei gleich großen Münzen müßte ja die umrollende Münze genau eine Drehung machen....

Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #4 am: 04. Dezember 2023, 19:06:59 »
Das ist genau die Art von Frage mit der ich überhaupt nichts anfangen kann :verlegen: Mir fehlt dafür völlig das räumliche Vorstellungsvermögen.

Räumlich ist es ja nicht einmal, allenfalls flächig.

Aber im Prinzip kann man doch folgendes überlegen: wenn ich die große Scheibe einmal abrolle, legt sie eine bestimmte Entfernung zurück. Die Entfernung entspricht genau dem Umfang der Scheibe. Der Umfang wird berechnet als 2*pi*radius.

Wenn man die kleine Scheibe abrollt (sie hat nur 1/3 als radius), dann kommt sie bei einer Umdrehung auch nur ein Drittel so weit, wie die große kommt. D.h. man muss die kleine Scheibe drei mal Rollen, damit sie soweit rollt wie die große Scheibe, die man nur einmal rollt. Und dann leuchtet es den meisten ein, dass man also die kleine Schreibe drei mal rollen muss, um sie um die große Scheibe herum zu rollen. Das ist so einleuchtend, dass es wirklich schwer zu begreifen ist, dass das falsch ist, obwohl es doch so klar zu sein scheint. Ich habe es auch überhaupt nicht verstanden, warum es nicht so sein sollte. Aber nach und nach wird es mir immer klarer.

Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #5 am: 04. Dezember 2023, 19:11:58 »
Für die, die tatsächlich die Lösung schon haben (egal warum), ich habe noch eine andere tolle  Aufgabe gefunden, die auch extrem schwer zu verstehen ist, obwohl die Aufgabenstellung alltäglich ist:

Um den Winter zu überstehen, kaufst Du einen Doppelzentner (= 100 kg) Kartoffeln beim Bauern und lagerst sie in Deinem Keller. (Meine Eltern haben das tatsächlich noch so getan, als ich ein Kind war). Frische Kartoffeln bestehen bekanntermaßen fast nur aus Wasser, hier nehmen wir mal an, dass die Kartoffeln zu 99% aus Wasser bestehen, wenn Du sie frisch in die Kartoffelkiste wirfst.

Nach ein paar Wochen fangen die Kartoffeln an zu schrumpeln, der Wassergehalt hat sich verringert, er beträgt jetzt nicht mehr 99%, sondern nur noch 98%. Wieviele kg Kartoffeln hast Du nun in Deiner Kartoffelkiste?

Susan

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #6 am: 04. Dezember 2023, 19:37:23 »
Zu den Scheiben: flächig ist das wirklich schwer vorstellbar. Wenn man den Mittelpunkt der kleinen Scheibe folgt, wie er um die grosse wandert (denn der bleibt bei der Rotation auf einer Linie) kann man den größeren Kreis sehen und auch wie man dessen Umfang berechnet. Ich hatte früher so ein Spiel, mit dem man mit so einer Art Zahnrädern Muster zeichnen konnte.Daher kannte ich das Prinzip. Erstaunlich, dass keiner der schlauen Profs den Fehler im Test gefunden hat.

Das mit den Kartoffeln finde ich schwieriger  :gruebel: Denn wieviel wiegt das Wasser und wieviel der Rest?
Kartoffelernte und Einlagern im Keller kenne ich auch noch von meinen Eltern. Nachgewogen haben sie nie  ;)
Liebe Grüße
Susan


Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #7 am: 04. Dezember 2023, 20:03:58 »
Zu den Scheiben: flächig ist das wirklich schwer vorstellbar. Wenn man den Mittelpunkt der kleinen Scheibe folgt, wie er um die grosse wandert (denn der bleibt bei der Rotation auf einer Linie) kann man den größeren Kreis sehen und auch wie man dessen Umfang berechnet.

Nur wo ist der Zusammenhang zu den Umdrehungen? Und warum der Mittelpunkt, wieso nicht den am weitesten entfernten Punkt (der ganz große Außenkreis)? Mathematisch ist das richtig, was Du vorschlägst. Aber ich finde nicht, dass es begreiflich ist.

Ich hatte früher so ein Spiel, mit dem man mit so einer Art Zahnrädern Muster zeichnen konnte.Daher kannte ich das Prinzip.

Hatte ich auch - das Ding hieß "Spirograph". Das hat Spaß gemacht, aber die resultierenden Muster waren natürlich begründet im Zahlenverhältnis der Zacken, die die Scheiben hatten.

Was die Aufgabe betrifft - die Studenten hatten nur 1 Minute im Schnitt für jede Aufgabe, ich hätte todsicher auch b) angekreuzt. Den Mut zu haben und zu behaupten, dass alle Lösungen falsch sind, finde ich beachtlich. Daran denkt man doch nicht.

Denn wieviel wiegt das Wasser und wieviel der Rest?

Damit bist Du doch schon auf dem halben Weg zur Lösung. Das ist doch supereinfach, wieviel das Wasser und wieviel der Rest wiegt. Und dann hast Du die Lösung. Am Anfang wiegen die Kartoffeln 100kg und davon sind 99% Wasser. Wieviel wiegt dann wohl das Wasser und wieviel der Rest? Und den zweiten Teil rechnest Du, Du musst nur noch eine kleine Hürde überwinden.

P.S.: Der Spirograph - https://de.wikipedia.org/wiki/Spirograph_(Spielzeug)

Horst

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #8 am: 04. Dezember 2023, 21:43:07 »
Die Thematik mit den Kreisen könnte was mit der Äquidistante zu tun haben, das ist die Mittelpunktsbahn, die meine Industriemechaniker beim CNC Fräsen berechnen müssen.
Nachdem was Susan schon vorgearbeitet hat, vielleicht 4 Umdrehungen?

Die in der Kiste könnten danach 50 kg sein, weil die tatsächlichen Kartoffeln (also ohne Wasser) nun 2% ausmachen, also wenn 1kg = 2% gilt im Dreisatz 100% sind 50kg.
Ich bin mit dem, was Du sagst, nicht einverstanden, aber ich werde bis zum Tod Dein Recht verteidigen, es zu sagen. Voltaire.

Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #9 am: 04. Dezember 2023, 22:20:35 »
vielleicht 4 Umdrehungen?

Exakt. Aber ich finde es sauschwer zu verstehen.

Das "einfachste" Modell, was ich mir zurechtlegen kann: wenn man die große Scheibe langsam nach links dreht, dann dreht die kleine Scheibe entsprechend nach rechts. Wenn die große Scheibe eine ganze Umdrehung nach links gemacht hat, dann hat die kleine Scheibe drei Umdrehungen nach rechts gemacht. Wiegt man eine Linksumdrehung gegen eine Rechtsumdrehung auf, dann bedeutet es, dass die kleine Scheibe in Relation zur großen Scheibe vier Rechtsumdrehungen gemacht hat, aber eine wurde eben aufgehoben, weil die große Scheibe nach links gedreht hat.
Jetzt fixiere ich aber die große Scheibe und lasse stattdessen nur noch die kleine Scheibe um die große Scheibe herumlaufen. Damit verändere ich nur das Bezugssystem (die große Scheibe), ich ändere aber nicht den Sachverhalt, dass die kleine Scheibe in Relation zur großen Scheibe vier Rechtsdrehungen macht. Da die große Scheibe aber still steht (aus meiner Sicht), macht die kleine Scheibe also vier Rechtsumdrehungen.

Die in der Kiste könnten danach 50 kg sein, weil die tatsächlichen Kartoffeln (also ohne Wasser) nun 2% ausmachen, also wenn 1kg = 2% gilt im Dreisatz 100% sind 50kg.

Haargenau. Eine (wie ich finde) ebenso überraschende Lösung. Subjektiv würde man meinen, da geht nur 1 oder 2 Kilo verloren (von 99% auf 98% eben). Auch hier finde ich es sehr schwer zu verstehen, warum es so ist, wie es ist. Auch wenn die Arithmethik einfach ist, aber es ist schwer zu begreifen.

Andreas

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #10 am: 04. Dezember 2023, 22:23:08 »
Nur wo ist der Zusammenhang zu den Umdrehungen? Und warum der Mittelpunkt, wieso nicht den am weitesten entfernten Punkt (der ganz große Außenkreis)? Mathematisch ist das richtig, was Du vorschlägst. Aber ich finde nicht, dass es begreiflich ist.

Hier ist das Problem als Animation dargestellt: https://www.geogebra.org/m/v3a437ux

In diesem Beispiel geht es um den 4-fachen Radius, also R=4 und r=1.
Die Antwort lautet N = (R+r)/r = (4+1)/1 = 5.

In deinem Beispiel ist es der 3-fache Radius, also R=3 und r=1.
Anzahl der Umdrehungen N = (R+r)/r = (3+1)/1 = 4


Und hergeleitet ist das Ganze hier (in der Antwort mit 12 Punkten):

https://math.stackexchange.com/questions/1351058/circle-revolutions-rolling-around-another-circle

Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #11 am: 04. Dezember 2023, 22:29:50 »
Ich finde meine Erklärung deutlich einfacher zu verstehen als die mathematisch algebraische Lösung. Es hilft ja nichts, wenn man es rechnen kann, man muss auch verstehen, warum die (eigentlich intuitive) Antwort falsch ist.

Andreas

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #12 am: 04. Dezember 2023, 22:31:30 »
Es hilft ja nichts, wenn man es rechnen kann, man muss auch verstehen, warum die (eigentlich intuitive) Antwort falsch ist.
Deswegen die grafische Lösung (Animation).

Rainer

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #13 am: 04. Dezember 2023, 22:37:11 »
Noch beeindruckender ist es, wenn man es selbst ausprobiert, mit zwei gleichen Münzen (1 Euro beispielsweise). Das kann jeder selbst auf dem Tisch ausprobieren - und staunen, dass schon auf dem halben Weg die umlaufende Münze eine komplette Umdrehung gemacht hat (und nicht erst am Ende). So kann man es auch auf Parties vorführen.

Susan

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Re: Das Rollparadoxon
« Antwort #14 am: 05. Dezember 2023, 20:33:20 »
Okay, aus "1l Wasser wiegt 1 kg" herzuleiten, dass das Wasser im Kartoffelfall 99 kg wiegt, ist mir nicht so ganz klar, aber egal...

Der Rest wie von Horst erklärt ist ebenso schlüssig, wie erstaunlich - intuitiv hätte ich auch auf weniger Verlust getippt.

Richtig, der Spirograph  ;D Hat Spaß gemacht damals
Liebe Grüße
Susan