Autor Thema: Wandern in der Bretagne: Auf dem GR 34 von Saint Brieuc zum Mont Saint Michel  (Gelesen 87088 mal)

Susan

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Ah, da bin ich ja grad noch rechtzeitig von unser Pfingst-"Eiszeit"-Tour wieder zurück gekommen  ;)

Als wahrer Fan von Excel-Tabellen kanmn ich also deine Reisevorbereitung gut nachvollziehen.  Der erste Tag gefällt mir schon mal sehr - müssen wir wirklich noch wandern gehen ?  ;) Nagut, gesteifelt und gespornt mit reichlich Gramm Blasenpflaster bin ich dabei
Liebe Grüße
Susan


Heike Heimo

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Eine mehrtägige Wanderung - Wanderschuhe hab ich an, da bin ich dabei. Die Idee mit der Excel-Packliste gefällt mir, darauf bin ich noch gar nicht gekommen. Excel muss bei uns ansonsten immer für die Reiseplanung herhalten.

lg, Heike
"Of all the books in the world, the best stories are found between the pages of a passport."

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stefunny

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Hört sich toll an, bin auch dabei.

serendipity

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Bin natürlich auch dabei und mir kommt so einiges vom ersten Tag bekannt vor ;-) und ich weiß auch schon, wie euer Frühstück morgen aussieht.

Schöner Anreisetag und auf die Fischsuppe hätte ich jetzt auch Lust. Bei uns gabs abends in Beauvoir nur noch den Imbisswagen  :)

Flicka

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Schön, unsere Wandergruppe vergrößert sich! Herzlich Willkommen!  :)



Bin natürlich auch dabei und mir kommt so einiges vom ersten Tag bekannt vor ;-) und ich weiß auch schon, wie euer Frühstück morgen aussieht.


Ja, ich  habe vor unserer Reise nochmal in deinen Bericht geschaut und gesehen, dass wir uns dasselbe Nachtquartier ausgesucht haben.  :)

Flicka

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Sonntag, 1. Mai 2016
Prologtag 2: Von Beauvoir über Rennes nach Saint-Brieuc



Heute lassen wir es erst mal gemütlich angehen. Wir hatten die Wahl zwischen einem Bus um 9.38 Uhr und einem Bus um 11.08 Uhr und haben uns für den späteren Bus entschieden. Wir frühstücken um neun und können dabei ein kleines, aber gut bestücktes Frühstücksbüffet genießen. Dann packen wir in Ruhe unsere Taschen, die im Auto bleiben, und die Rucksäcke. Die Gastgeberin ist über unsere Pläne informiert und wünscht uns alles gute, als wir uns schließlich verabschieden und mit dem Auto vom Hof rollen. Die letzte Autofahrt für hoffentlich längere Zeit. Das Auto bleibt auf dem Parkplatz zurück, wir schauen noch kurz in ein großen Geschäft mit bretonischen Spezialitäten, werfen noch einen Blick auf den Mont Saint Michel und stellen uns dann an die Bushaltestelle, wo ziemlich pünktlich der Bus ankommt.








Die Fahrt nach Rennes dauert etwas länger als eine Stunde und endet nahe am Bahnhof. Dort würden wir gerne unsere Rucksäcke in Schließfächer sperren, während wir uns ein wenig Rennes anschauen, aber leider gibt es keine Schließfächer, wobei ich nicht sicher bin, ob es am derzeitigen groß angelegten Umbau des Bahnhofs liegt. Also müssen die Rucksäcke mit auf die Stadtbesichtigung. Bevor wir losmarschieren, kaufen wir uns noch die Zugtickets nach Saint Brieuc. Das klappt erstaunlich gut am Automaten, und weil die Tickets der 1. Klasse mit 21,50 Euro pro Nase ein wenig günstiger sind als die der 2. Klasse, fahren wir natürlich 1. Klasse. Erst marschieren wir aber ein Stück vom Bahnhof zum historischen Zentrum Rennes.

Dort schlendern wir durch die Straßen und stellen fest, dass noch einige Fachwerkhäuser über die Innenstadt verstreut sind. Manche sind schön herausgeputzt, andere sind in einem ziemlich desolaten Zustand, und dazwischen sind alle Nuancen vertreten. Die Sonne scheint, überall sind die Straßencafés und Außentische der Restaurants gefüllt, so toll hatte ich mir das Wetter hier wirklich nicht vorgestellt.




















Unser Rundgang durch die Innenstadt führt uns schließlich am Rathaus vorbei zum ehemaligen Parlamentsgebäude.








Am Platz vor dem Parlamentsgebäude erwartet uns noch ein besonderes Unterhaltungsprogramm. Plötzlich fahren Polizeiautos vor, Polizeitruppen springen aus Mannschaftstransportern, während sich vom Bahnhof her eine Parolen skandierende Menge nähert. Eine Mai-Demo? Mai-Randale? Die Polizei ist jedenfalls in Kampfposition, und als die Menge abbiegt, schiebt sich auch der Polizeieinsatz weiter. Offenbar wollen sie ein Durchbrechen auf den Platz verhindern. Elsa findet das ganze sehr aufregend und will schauen, wie es weitergeht. Ich finde, wir sollten uns lieber vom Acker machen, bevor Schlagstöcke oder Wasserwerfer zum Einsatz kommen müssen. Elsa beugt sich, allerdings weniger meiner Weisheit als eher der Tatsache, dass ich diejenige mit dem Stadtplan und dem guten Orientierungssinn bin, und wir trollen uns.




Wir kommen am Schwimmbad vorbei und biegen an einer Kirche in einen schönen Park, den Jardin du Thabor, ein.






Der Park ist schön angelegt, überall sind vergnügte Leute unterwegs. An einer Brasserie ergattern wir einen Tisch unter einer schattenspendenden Kastanie und trinken erst mal Bier und Panaché (Radler) und freuen uns, dass wir Urlaub haben und das Wetter so unerwartet schön ist.




Irgendwann müssen wir aufbrechen und spazieren noch ein wenig durch den Park, bis wir schließlich wieder die Straße erreichen, die zum Bahnhof führt.






Um 16.23 Uhr nehmen wir den TGV Richtung Brest und fahren ca. 50 Minuten bis Saint-Brieuc. Der Zug ist gut gefüllt. Unterwegs erhaschen wir einen Blick auf die Küste. Dort werden morgen wandern. Diese Nacht werden wir aber noch in Saint-Brieuc verbringen.




Die Einwohner und Einwohnerinnen von Saint-Brieuc werden laut Wikipedia Briochins bzw. Briochines genannt. Bei mir weckt das natürlich sofort Hunger auf Brioches, die saftigen französischen Hefekuchen, aber leider findet sich im Reiseführer nicht der kleinste Hinweis darauf, dass die Stadt für solche Leckereien bekannt sein könnte. Stattdessen verweisen Reiseführer und Wikipedia unisono auf den Mönch „Brioc“, einen der sieben bretonischen Gründerheiligen, der im 5. oder 6. Jahrhundert irgendwas mit der Gründung von St. Brieuc zu tun gehabt haben soll – laut Wikipedia, indem er sich am Brunnen der Stadt niederließ. Keine Ahnung, was er da so getan hat, wir lassen uns jedenfalls nicht am Brunnen nieder, sondern machen uns auf den etwa fünfzehnminütigen Fußmarsch zu unserem Hotel nördlich der Altstadt. Nur mal so nebenbei für die Geschichtsinteressierten unter uns: Der Name Brioche leitet sich nicht von Brioc ab (sondern wohl vom französischen „brier“ für zerstampfen oder ausrollen). Und als Marie-Antoinette dem Volk geraten haben soll, Kuchen zu essen, wenn kein Brot da sei, soll sie von „brioches“ gesprochen haben. Gesagt hat sie das aber sowieso nicht, als belassen wir es dabei und wenden uns lieber unserem Hotel zu, dem „Ker Izel“.

Hier gibt es leider auch keine Brioches. Die Zimmer sind sehr viel nüchterner als unsere letzte Unterkunft, aber absolut ausreichend, und wir haben einen Außenpool, von dem wir bei den tropenähnlichen bretonischen Temperaturen natürlich sofort rege Gebrauch machen. Ähm, nein, tun wir nicht. Tatsächlich ist es trotz des schönen Wetters für einen Sprung in den Pool entschieden zu kalt, falls er denn geöffnet ist. Überprüft haben wir das nicht.

Ich wasche schon mal das T-Shirt aus, das ich heute getragen habe. Die kleine Handwäsche wird für die nächsten Tage meine regelmäßige Abendbeschäftigung sein. Dann werfe ich mich ins „Abendoutfit“: Die leichten Zweitschuhe, Jeans (500g!), Shirt und darüber eine knitterfreie Crinkle-Bluse. Dabei stelle ich fest, dass alles an mir elektrisch geladen ist. Die Bluse, die daheim noch locker herunterging, klebt jetzt am Körper. Na ja, das wird sich hoffentlich noch ändern.

Wir starten noch auf eine kurze Stadtbesichtigung von Saint-Brieuc. Touristisch hat der Ort nicht viel zu bieten, und die Läden in der langen Fußgängerzone sind heute, am Sonntag- / Feiertagabend natürlich geschlossen. Aber immerhin, ein paar nette Fachwerkhäuser treiben wir auf.






Danach gehen wir essen, und zwar nicht ganz typisch bretonisch, sondern lecker marokkanisch mit Cous-Cous und Tajine. Bevor ich später am Abend einschlafe, gönne ich auch der Achillessehne noch Futter in Form einer üppigen Portion Voltarengel. Irgendwie zickt sie schon wieder rum. Wahrscheinlich passt es ihr nicht, dass sie heute den Rucksack stundenlang durch Rennes schleppen musste - laut Elsas Schrittzähler haben wir heute schon 9 km zurückgelegt, und das meiste über harten Asphalt. Mal gespannt, wie das alles wird.

Gute Nacht!

Paula

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An windschiefe Fachwerkhäuser in der Bretagne erinnere ich mich auch noch. Es sieht so richtig toll nach Frühling auf deinen Bildern aus, hoffentlich bleibt das so. Und hoffentlich reicht das Voltarengel...
Viele Grüße Paula

Birgit

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Ab morgen geht es also zu Fuß weiter?

Da werdet ihr euch in guter Gesellschaft befinden. Habe gerade im Internet gelesen, dass in der Bretagne aufgrund von Protesten Spritknappheit ausgebrochen ist, also werden mehr Leute sich (im Gegensatz zu euch unfreiwillig) für Schusters Rappen entscheiden müssen ;)

Ach ja, ich sage es mal so, man soll ja immer positiv denken: Toll, dass die Kamera noch funktioniert hat - sehs schöne Bilder!

Flicka

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Hm, diese Woche wird in Frankreich mal wieder munter gestreikt, vielleicht hängt die Spritknappheit damit zusammen.  ???

Ich würde sagen, wir starten gleich mal auf die Wanderung, dann müssen wir uns für die nächsten Tage über Autos und Co. keine Gedanken mehr machen.  :)

Flicka

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Montag, 2. Mai 2016
Wandertag 1: Saint-Brieuc bis Bonabry (ca. 23 km)



Als ich um sieben Uhr aufstehe, merke ich, dass ich mir gestern einen leichten Sonnenbrand geholt habe. In der Bretagne! Die kannte ich bisher eher als die Gegend, in der man sich im August noch einen warmen Kapuzenpulli nachkaufen muss.

Die Achillessehne scheint sich wieder mehr oder weniger vom gestrigen Städtetrip erholt zu haben und meldet nur noch eine leichte Betriebsstörung. Beim Frühstück im Hotel lesen wir ein wenig Zeitung, das heißt, wir schauen die Bilder von Mai-Randalen, aber die waren in Paris. Im Westen sei es ruhig gewesen, behauptet das Blatt.

Um 9 Uhr geht es dann endlich richtig los. Heute ist der Himmel bedeckt, aber zumindest sieht es im Moment nicht nach dem vorhergesagten Regen aus. Also bleiben Regenjacke und Regenhose im Rucksack und ich ziehe nur eine leichte Fleeceweste übers Wandershirt. Zuerst kaufen wir uns im kleinen Supermarkt um die Ecke noch zwei kleine Baguette und eine Salami für die Mittagsrast, dann folgen wir der Fußgängerzone nach Süden und eine Straße links hinunter zu einem der Flüsse, die durch Saint-Brieuc fließen, dem Gouédic. Unten am Fluss entlang führt ein Zuweg in etwa 3 km bis zur Küste, zum Hauptweg, dem GR 34.




Und kaum sind wir dort, bietet sich uns schon ein Vorgeschmack auf den heutigen Tag: Der Weg ist in diesem Bereich nicht sonderlich gut ausgezeichnet. Wir suchen die Markierung des GR 34, zwei horizontale Balken in rot und weiß. Die finden wir auch, aber die Markierung weist an das westliche Ufer des Gouet, des zweiten Flusses, der Saint-Brieuc durchfließt. Geradeaus in die Richtung, die meine Wanderkarte und meine Intuition richtig finden, sehen wir ein Kreuz aus einem weißen und einem roten Balken, was soviel heißt wie: Nein. Niemals nie. Hier kein Weg.

Ich bin stur, wir wollen nach Osten, Richtung Mont Saint Michel. Da kann es doch nicht richtig sein, dem Wegweiser nach Westen zu folgen. Wir müssen auf jeden Fall am Ostufer des Flusses bleiben, weiter vorne gibt es keine Brücke mehr. Und weil ich die Karte habe, beugt sich Elsa mal wieder. Wir kommen in einen etwas tristen Hafen, der immerhin mit teilweise schönen Graffitis aufgehübscht wurde:










Und als wäre nichts geschehen, finden wir nach ein paar hundert Metern dann doch unsere Wegmarkierung. Und einen Mann, der uns gleich mal eifrig Tipps gibt, wie wir weiter vorne am besten abkürzen können. Nein danke, wir wollen nicht abkürzen, wir wollen doch die Küste entlang wandern. Der Pfad steigt erst mal relativ steil an. Das überrascht mich doch ein wenig. Ich hatte mir eingebildet, wir würden erst mal entspannt auf Meereshöhe wandern. Aber wir müssen rauf, gewinnen Höhe, umrunden eine Landspitze und haben irgendwann den ersten Blick von oben auf die Bucht von Saint-Brieuc, in der sich im Moment wegen der Ebbe nicht viel Meer befindet. Hm, diese ganze Bucht müssen wir umrunden, und dann noch ein Stück ums gegenüberliegende Kap herum, und zwar heute. Habe ich wirklich die Kilometer im Wanderführer richtig zusammengerechnet? Das sieht so weit aus.






Wir folgen dem Weg, immer den Markierungen nach. Irgendwann weist eine Markierung an einem Pfahl eine kleine Straße nach unten, eine Abbiegemarkierung gibt es nicht, und auch kein Niemals-Nie-Kreuz, also laufen wir fröhlich geradeaus an einem Grundstück vorbei, auf dem sich bei unserem Anblick ein Hund in einem Zwinger fast entleibt. Sein Bellen verfolgt uns, als wir an einer Koppel vorbei einem Trampelpfad auf eine Wiese folgen. Der Pfad kreuzt einen anderen Pfad, wir folgen ihm aber weiter, bis er in einem Bogen an einer Hecke vorbeiführt. Dann kreuzen wir wieder einen Pfad, nämlich den, den wir eben gekommen sind und kommen unten an der Pferdekoppel an. Noch ein paar Meter nach links, und wir stehen wieder am Ausgangspunkt, während der Hund sich weiter heiser bellt. Hm, das kann doch nicht sein. Also wieder zurück die kleine Straße hinauf, und diesmal biegen wir auf einen unmarkierten Weg ab, der sich als der richtige herausstellt. Vermutlich haben Generationen von Wanderern vor uns auf der Wiese schon die 8 gelaufen, und Generationen von Wanderern nach uns werden das auch noch tun.

Die nächsten Minuten werden wir von immer neuem Hundegebell verfolgt. Man könnte meinen, die vierbeinige Einwohnerschaft hier informiert sich gegenseitig über unser Kommen. Weiter unten an der Küste sieht es mit Markierungen dann auch wieder mau aus, aber wir treffen eine Frau mit Hund, und die zeigt uns den richtigen Weg. Glück gehabt. Und ab hier ist der Weg dann auch ein Stück gut ausgebaut und die richtige Richtung nicht zu verfehlen.

Gegen 11.45 Uhr machen wir mit Blick auf die Bucht die erste Rast.




Wir sind guter Dinge. Die Rucksäcke tragen sich gut, das Wetter wird besser, wir haben unsere Westen schon halb geöffnet. Knie und Fersen sind brav und tragen uns ohne Murren. Elsa hat sich für die Wanderung Wanderstöcke geliehen, damit sie die Knie beim Bergabgehen entlasten kann, und ich versuche, beim Bergaufgehen nicht zu viel Druck auf die Fersen zu geben, um die Achillessehnen nicht zu provozieren. Wir ergänzen uns also großartig.

Die nächsten Kilometer bleibt der Weg aber flach. Wir erreichen um viertel nach zwölf Langeux mitsamt einem kleinen Eisenbahnmuseum und wandern entlang einer kaum befahrenen Straße weiter. Die Küste verwandelt sich immer mehr in Marschland, wir passieren eine Crêperie, die leider geschlossen ist, und Elsa versorgt eine Blase am Zeh mit einem neuen Pflaster. Vorher habe ich sie schon dabei erwischt, als sie sich an einer Bushaltestelle die Abfahrtszeiten angeschaut hat, sie behauptet aber, sie hätte sich nur auf der Karte orientieren wollen.






Als wir den tiefsten Punkt der Bucht bei Yffiniac erreichen, ist es schließlich so warm, dass wir zum ersten Mal die Westen auf die Rucksäcke schnallen und in unseren Shirts weiterwandern. Danach wird uns noch wärmer: Der Weg ist mal wieder nicht ausgezeichnet. Wir folgen einer unbefestigten Straße hinauf, nur um irgendwann festzustellen, dass wir hier falsch sind. Immerhin hilft hier der Wanderführer weiter, in dem die vielen unbefestigten Straße zwischen den Bauernhöfen eingezeichnet sind, den Küstenpfad wiederzufinden. Endlich wandern wir entlang der anderen Seite der Bucht, auf die wir den ganzen Vormittag hinübergeschaut haben, und so langsam glaube ich doch daran, dass wir unser Etappenziel schaffen können.






Gegen 14 Uhr machen wir dann wieder Rast, diesmal in der Nähe der Ortschaft Hillion. Wir essen Baguette und die Würste, die Elsa noch von zuhause mitgebracht hat, dann folgen wir dem schmalen Pfad bis zu dem kleinen Kap. Die letzten Meter bis zur Landspitze wird der Weg steiniger, und noch ein paar hundert Meter weiter erhaschen wir schon Blicke in die nächste Bucht, in der wir morgen wandern werden. Und ganz weit da hinten im Dunst wartet das Kap d' Erquy. Irgendwann kommen wir dort auch hin, erkläre ich Elsa, um nach einem Blick in meinen Plan erschrocken festzustellen, dass  „irgendwann“ in unserem Fall schon „übermorgen“  heißt. Hm, das sieht aber ganz schön weit aus. Andererseits: Bis dahin sieht der Weg ja auch tatsächlich noch über 30 km vor. Kann also doch passen.














Heute passt es uns erst mal, dass wir bald den Strand von Bonabry erreichen. Irgendwo hier ist unsere wohl außergewöhnlichste Unterkunft zu finden, das Chateau de Bonabry, wo uns ein echter Vicomte samt Vicomtesse erwartet und uns heute abend bewirten wird. Das Chateau ist leider nicht ausgeschildert, wir fragen Leute, die hier am Strand gerade ins Auto steigen. Der Erste hat überhaupt keine Ahnung, die Zweite meint, wir müssten zuerst zurück nach Hillion und dann eine Straße nehmen. Hm, zurück, nein, das passt gar nicht, das wäre ein Umweg von ca. 2 km. Das Chateau müsste eigentlich ganz in der Nähe sein, und auf dem Plan ist eindeutig ein Weg eingezeichnet, den wir bloß im Moment nicht finden. Zum Glück kennt sich der Dritte hier aus und schickt uns einen breiten Feldweg hinauf, auf dem wir nach wenigen Minuten gegen 16.30 Uhr das Chateau erreichen.






Den Vicomte treffen wir in Arbeitsklamotten schon im Schlosshof an. Er behauptet charmant, man würde uns die erwanderte Strecke gar nicht ansehen, aber wir lassen uns ziemlich erschöpft am wackligen Tisch im Hof nieder, und weil Elsa ganz lieb fragt, bringt der Vicomte persönlich uns zwei Flaschen Bier, die wir souverän mit unseren Schweizer Taschenmessern öffnen. So richtig weiß der Vicomte aber im Moment nichts mit uns anzufangen. Eigentlich müsste seine Frau schon längst wieder hier sein, die sei vor zwei Stunden mal kurz weggefahren und immer noch nicht zurück, Frauen halt. Weil die Frau sich weiterhin rar macht, zeigt der Vicomte uns erst einmal den Garten hinterm Chateau. Das Chateau ist über 400 Jahre alt und seitdem in Familienbesitz, und wie der Vicomte uns nachvollziehbar erklärt, ist der Unterhalt eines alten Chateaus nicht gerade günstig.










Nach der Gartenführung macht sich die Vicomtesse immer noch rar, und so schafft es der Vicomte dann doch, uns in unsere Zimmer einzuchecken. Wow, hier könnte man eine ganz Schulklasse unterbringen! Elsa hat in ihrem Zimmer zwar kein Bad, sondern muss ein paar Meter über den Flur gehen, dafür hat sie dort einen ganzen Badepalast für sich allein. Mein Zimmer ist noch ein wenig größer als ihres und das angrenzende Badezimmer ist immer noch größer als so manches Zimmer, in dem wir auf der Reise noch übernachten werden. Nur kalt ist es hier, das merken wir gleich, kälter als draußen, und ein wenig klamm.








Wir verabreden uns für 8 Uhr wieder unten zum Abendessen, auch wenn der Vicomte ein wenig skeptisch scheint, ob seine Frau uns bis dahin die Ehre geben wird, und ruhen erst mal aus, ich auf dem Bett, Elsa in der heißen Badewanne. Als ich sie später in ihrem Zimmer abhole, zittert sie vor Kälte. Unten ist es aber wärmer, dort brennt ein Feuer im Kamin, und wie sich herausstellt, ist inzwischen auch die Vicomtesse wieder zuhause und hat wie vorher per E-mail verabredet unser Abendessen zubereitet.

Beide sind reizend, wir sind die einzigen Gäste und werden von ihnen bedient. Als Vorspeise gibt es überbackene Jakobsmuscheln, dann einen Teller mit Aufschnitt und Salat und einem Baguette mit überbackenem Ziegenkäse, und zum Schluss bekommen wir Schokoladenkuchen und jeder einen Schluck 35 Jahren alten Calvados.






Währenddessen unterhält uns der Vicomte mit Geplauer über deutsch-französische Politik. In unserem weinseligen Kopf und mit unseren bescheidenen französischen Sprachkenntnissen kommen wir dabei allerdings nicht ganz mit und denken bei „Hollande“ erst mal an die Niederlande. Allerdings hat der Vicomte auch eine Geistergeschichte auf Lager: Im Chateau spuke ein Phantom. Na, auch das kann mich heute nicht mehr schrecken, ich bin sicher, dass ich heute nacht wie ein Stein schlafen werden, egal ob das Phantom sich in meinem Zimmer austobt.

Als wir schließlich wirklich schlafen gehen, gönne ich der Ferse noch eine dicke Ladung Voltarengel, kuschele mich unter drei Wolldecken und lese auf dem Kindle noch ein paar Seiten in einem Buch über die katastrophale Everest-Expedition von 1996. Die Kälte am Berg kann ich gerade gut nachfühlen. Ich schlafe trotzdem schnell ein.

Gute Nacht!

(Und wer sich bis zum nächsten Wandertag ein Bild von unseren Gastgebern machen will, findet Bilder und Berichte auf ihrer Internetseite: http://www.bonabry.fr/ )

Paula

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Ja schlecht beschilderte Wanderwege gibt es in Frankreich häufig, da merkt man dass Franzosen nicht gern wandern. 23 km ist aber schon lang...
Das Schloß ist dann aber klasse, so als Prinzessin auf der Erbse möchte ich auch mal ruhen  :)
Wieso hat Elsa denn gefroren wenn sie in der heißen Badewanne war? Ich bin ja eine echte Frostbeule aber nach einem Bad schwitze ich. Das Abendessen sieht delikat aus, ich vermisse nur eine Flasche Wein  :)
Viele Grüße Paula

Andrea

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    • Anti walks...
Da graut mir ja vor: Schlechte Wegkennzeichnung bei einer Fernwanderung  :schreck: Das finde ich schon bei einer Tageswanderung nervig, aber wenn es wirklich darauf ankommt, abends in seinem Hotel anzukommen und  man wirklich viel läuft... Da belastet jeder kleine (unnötige) Umweg

Das Buch über den Everest: Ist es die Geschichte, die letztes Jahr im Kino lief? Guter Film, schlimme Geschichte.
Liebe Grüße, Andrea



www.antiwalks.eumerika.de

soenke

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Huhu,
ich möchte auch noch mit. Auch wenn es bei Dir

.........
Zitat
Es wird auch KEIN Überlebenstrip. Wir kämpfen nicht mit Bären, wir picknicken auch nicht mit ihnen. Wir streifen nicht durch die Grüne Hölle am Amazonas, erklimmen keine Himalaya-Gipfel in der sauerstoffbefreiten Todeszone und müssen auch keine Schlittenhunde essen, um unser Überleben zu sichern.

ja dann ziemlich langweilig zugehen wird !! ;) ;D

Der Anreisetag hat mir schon mal gut gefallen. Wirklich ein schöner Küstenabschnitt, diese Alabasterküste. (merkwürdiger Name ::):D

Den Stadtbummel habe ich dafür genutzt meine sprachlichen Französischkenntnisse aufzubessern, so dass du ab jetzt einen Übersetzer an deiner Seite hast. 8)

Und die erste Wanderrung habe ich auch gut überstanden, naja bei Gewichtsabnahme von 13kg in 2 Monaten, bin ich ja auch top stolz äh fit !! ;)

Das Zimmer von euch sieht wirklich wie Paula schon erwähnte aus wie ein Prinzessinnenzimmer.

Von meiner Königssuite hast du ja kein Foto gezeigt. ???  Ist auch besser so, wollen ja kein Neid aufkommen lassen........ ;D ;)

Joop, freue mich auf mehr!

LG Sönke

serendipity

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Auch wenn es bestimmt manchmal nervig war, wenn der Weg so schlecht ausgeschildert ist, war es doch ein schöner erster Tag und sogar das Wetter hat gehalten  :) Aber ich glaube ja nach unseren Erfahrungen soundso nicht mehr an das viele schlechte Wetter in der Bretagne.  :strahl:

Eine tolle Unterkunft hast du da ausgesucht - so ein "Schloss" ist schon etwas ganz besonderes, da muss man eben Abstriche machen  ;) und merkt, dass das Leben einer Baronesse eben auch nicht sooo toll ist!

Liest du "In eisiger Höhe"? - ein sehr beeindruckendes Buch, viel intensiver als der Film. Mit diesem Buch begann vor vielen Jahren unsere Familien-Vorlesezeit im Urlaub. Da ich es so fesselnd fand, habe ich Peter und Jan abends immer bestimmte Stellen daraus vorgelesen. Seitdem nimmt jeer ein Buch mit, was er besonders gut findet und wir lesen uns abends immer mal daraus vor - ein Ritual, was ich lieben gelernt habe.

Bei "Voltarengel" stolpere ich übrigens immer wieder und lese "Voltar-Engel"  ;D - hoffentlich hattet ihr diesen "Umkehr-Engel" nicht jeden Tag dabei und die Markierungen werden besser.  ;)

Flicka

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Die Ausschilderung des Weges war heute im Vergleich zu den anderen Tagen fast am schlechtesten. Trotzdem ist es schon erstaunlich, dass man so auf einem Weg herumirren kann, der doch eigentlich immer an der Küste entlangführt.  ;) Aber immerhin, ein paar von euch sind schon im Chateau eingetrudelt, und das ohne Wanderkarte, Respekt! Falls ihr bereit seid, in der Königssuite im Westflügel etwas zusammenzurücken (sprich in der Ferienwohnung im Nebengebäude), dann könnt ihr dort euer Quartier beziehen.  :)

Paula, Elsa hat trotz Bad gefroren, weil es in ihrem Zimmer so kalt war. Ich behaupte ja, das es bei mir noch kälter war und dass sogar die Teppiche ganz klamm waren, aber Elsa zieht mich schon damit auf und meint, demnächst würde ich noch sagen, alles wäre klatschnass gewesen.  ;) Jedenfalls hätten wir schlechte Karten gehabt, wenn wir immer in solchen Zimmer übernachtet hätten, denn auswaschen konnte man dort nichts, weil es sicher nicht getrocknet wäre. Beim Abendessen gab es übrigens doch den vermissten Wein, wir haben mal munter zu zweit eine Flasche geleert und dabei folgendes gelernt: Auf bretonisch heißt Prost "Yec'hed mad". Bei uns hat es sich im Lauf des Urlaubs zu "Yamat" verschliffen.


Das Buch ist wie vermutet "In eisige Höhen". Mich hat es auch richtig gefesselt und ich kann mir nach wie vor kaum vorstellen, was so mancher aushalten und überleben kann. Andererseits fand ich es erschreckend, von welchen Zufällen und manchmal auch nur zwischenmenschlichen Unstimmigkeiten in solchen Situationen das Überleben abhängen kann. Den entsprechenden Film kenne ich nicht.


Und ja, mir ist auch schon ein paar mal der "Engel" ins Auge gesprungen. Mit so viel Engel an Bord könnte man unsere Wanderung am Ende doch noch als Pilgerreise sehen.  ;)