Dienstag, 10.5.16
Wandertag 9: Von Paramé bis zur Pointe de Grouin (ca. 23 km) Um 7 Uhr ist heute wieder Aufstehen angesagt, und beim Frühstück um 8 Uhr fällt endgültig die Entscheidung: Elsa wird nicht weiter wandern, sondern den Bus nehmen und das Auto in Beauvoir abholen, und ich mache mich zu Fuß auf den Weg Richtung Pointe de Grouin, eine Landzunge kurz vor Cancale. Während Elsa weiter das sehr gute Frühstücksbuffet genießt, mache ich mich um kurz vor neun auf den Weg. Zuerst führt der Weg weiter an der Promenade entlang, ein paar Treppen hoch zur Hauptstraße und dann wieder ein paar Treppen hinunter zum Strand.
Hm, da hinten am Strand sind ein paar Felsen, und das Wasser scheint bis zu den Felsen zu reichen, ob man denn hier tatsächlich gehen kann? Aber nachdem der Weg bisher eigentlich immer so angelegt war, dass die sichere, auch bei Flut wanderbare Alternative mit den bekannten rotweißen Balken markiert war, gehe ich davon aus, dass man die Felsen schon irgendwie überwinden kann und marschiere los. An den Felsen gibt es dann aber doch keine trockene Variante, außer man klettert über die Felsen. Und weil ich immer noch darauf vertraue, dass man sich bei der Ausschilderung des Weges schon irgendwas gedacht hat, klettere ich über die ersten Felsrücken, wobei der Rucksack mich beinahe wieder rückwärts runter reißt, nur um dann festzustellen, dass hinter den ersten Felsen weitere Felsen folgen. Nö, das ist mir jetzt doch zu gefährlich, die Flut steigt immer noch.
Also klettere ich zurück, marschiere am Strand zurück, die Treppen wieder rauf und oben an der Straße entlang und bin schon ein kleines bisschen sauer.
Gegen halb elf erreiche ich mein erstes Zwischenziel für heute, nämlich eine Sammlung von Steinskulpturen bei Rotheneuf, die ein Abbé hier auf einem Felsvorsprung in den Granit gehauen hat. Erst mal muss ich 2,50 Euro löhnen, dann kann ich hinunter zu den Skulpturen gehen. Am Anfang sehe ich kaum etwas, erst beim zweiten Blick fällt dann auf, dass fast jeder Zentimeter auf irgendeine Weise behauen und in Form gebracht ist. Da gibt es Menschen, Tiere, Sagengestalten, ganze Bilder und Altäre. Ich schaue mich ein wenig um, bevor plötzlich eine ganze Besucherhorde über den kleinen Felsen hereinbricht und ich lieber das Weite suche.
http://www.bretagne-tip.de/kunst/rotheneuf/abbe-foure.htmLeider ist die heutige Wanderetappe eher was für Ebbe, wie ich bald herausfinde, denn ich komme im weiteren Verlauf der Wanderung noch ein paar mal an Stellen, an denen die Wegweiser munter Richtung Wasser zeigen. Dazu ist der Himmel bedeckt und die Regenwolken scheinen nur darauf zu warten, loszulegen. Bei einer Passage entlang einer Landstraße kommt mir eine Seniorenwandertruppe entgegen, und der Anführer fragt mich, ob das die Hochwasserumgehung des GR 34 ist. Das weiß ich zwar auch nicht genau, aber nachdem wir aus unterschiedlichen Richtungen auf diese Straße gefunden haben, kann sie eigentlich nicht so falsch sein. Als ich schließlich probehalber wieder zum Strand abbiege, befindet sich zwischen Wasser und einer Mauer immerhin ein trockener Strandabschnitt von 2 Metern, den die Senioren offenbar bewältigt haben, wenn man die vielen Fußabdrücke richtig deutet, also schaffe ich das auch.
Gegen halb elf lege ich unter ein paar alten Bäumen mit Blick auf eine Bucht und eine Halbinsel eine Rast ein und schaue in den Wanderführer. Um die Halbinsel kann man zwar auch wandern, die Strecke ist jedoch kein offizieller Teil des GR 34. Kurz vor der Halbinsel sieht der Weg eine Hochwasserumgehung im Inland vor, die muss ich finden und dann aufpassen, dass ich anschließend nicht versehentlich auf die Halbinsel gerate. Also los. An einer Stelle, an der sich der Weg eng an einer Mauer und nur kurz über der Wasserlinie vorbeidrückt, biege ich nach rechts auf einen breiten Weg ab und lande kurz darauf auf der Landstraße, biege nach links auf die Landstraße ab und bin zuversichtlich, wie der Wanderführer behauptet, nach 500 m wieder die Küste zu erreichen. Pustekuchen. Ich laufe schätzungsweise 2 km an der regelmäßig befahrenen Landstraße entlang, an der es nicht einmal einen Trampelpfad gibt, so dass man auf der Fahrbahn laufen muss. Irgendwann bin ich schon der Meinung, dass ich doch falsch gelaufen sein muss, da weist plötzlich links von mir doch wieder ein rotweißer Wegweiser in ein niedriges Wäldchen. Ich folge der Ausschilderung und erreiche ein paar Häuser. Hier muss ich rechts abbiegen. Weiter oben muss ich wieder rechts abbiegen, dabei sagt mir mein Gefühl, dass ich eigentlich nach links müsste. Ganz sicher bin ich aber doch nicht, denn hier lauert ja auch die Halbinsel, und die wäre ein enormer Umweg. Trotzdem: So langsam müsste ich dann doch eher mal nach links. Aber nein, die Ausschilderung führt mich streng in genau die Richtung, aus der ich gerade gekommen bin, und ich meine, weit vor mir schon die Stelle zu sehen, an der ich vorhin in den Wald abgebogen bin. Was soll denn der Mist?
Da nähert sich von hinten ein Auto, und mit meinem Wanderführer wedelnd bringe ich die Fahrerin zum Halten. Zum Glück scheint sie erfahren darin zu sein, verirrte Wanderer wieder auf den richtigen Weg zu bringen. In welche Richtung ich denn wolle, fragt sie, und als ich ihr das sage, darf ich mich um 180 Grad umdrehen und wieder zurückwandern, genau dorthin, wohin mein Gefühl mich sowieso leiten wollte. Ich solle bis zum großen Parkplatz und daran entlang gehen, und am Ende würde ich wieder die Wegmarkierung finden, erklärt sie mir, und so ist es dann auch. Was nicht heißt, dass der Weg ab hier gut ausgeschildert ist, denn als ich hinter dem Parkplatz ein Kap, die Pointe du Meinga, erreiche, findet sich ein Gewirr von Wegen, aber mal wieder kein rotweißes Zeichen. Ich bin jetzt so sauer, dass ich am liebsten den Rucksack vom Rücken reißen und darauf herumtrampeln würde.
Stattdessen beschließe ich, dass das Kap es nicht verdient hat, von mir erwandert zu werden und kürze kurzerhand quer über das Kap ab, was keine gute Entscheidung ist, weil ich anschließend auch wieder ewig nach dem Weg suchen muss. Ich bin kurz davor, die Wanderung auf die Landstraße zu verlegen, da führt dann doch ein Wegweiser zum Küstenpfad. Ach herrje, ich hätte nicht gedacht, dass es so schwer ist, einem Weg zu folgen, der eigentlich immer am Wasser entlang führt.
Immerhin beruhige ich mich, als ich wieder dem Küstenpfad folgen kann und schimpfe dann ein bisschen mit mir selbst, weil ich vorhin so hektisch geworden bin. Was rege ich mich eigentlich so auf, sowas gehört zum Wandern halt dazu. Der Weg führt jetzt wie in den vergangenen Tagen entweder oben an der Küste oder unten an kleinen Stränden entlang. Erst passiere ich ein kleines Kap, die Pointe des Grand Nez, der großen Nasen, und zumindest einer der Felsen sieht auch aus wie ein Kopf mit einer großen Nase.
Um viertel vor zwei lege ich an einem Strand, der Plage du Guesclin, eine Pause ein. Elsa hat sich zwischendurch gemeldet, dass sie das Auto wohlbehalten wieder aufgefunden hat und schon unterwegs ist. Ich setze mich in den Sand und schaue zu, wie etwas weiter drüben Hochzeitsfotos gemacht werden. Die Braut natürlich im weißen Kleid, der Bräutigam im feinen Anzug, beide posen im Sand, und schließlich darf der Bräutigam noch mit zwei Luftballons in der Hand hochhüpfen, während die Braut im Sand kniet und seine andere Hand festklammert. In der Realität sieht es nicht so überzeugend aus. Schade, dass ich nicht sehen kann, wie es auf den Fotos wirkt.
Am westlichen Ende des Strands auf einer kleinen Insel, die bei Ebbe zu Fuß erreichbar ist, liegt das Fort du Guesclin.
http://fr.topic-topos.com/fort-du-guesclin-saint-coulombVon hier aus sind es noch 7 km bis zum Hotel auf der Pointe du Grouin. Das melde ich Elsa und mache mich auf den Weg. Ich passiere immer wieder kleine Kaps und dazwischen auch einen weiteren Strand. Komisch, als ich mich umdrehe, um von diesem Strand noch ein Foto zu machen, schieben sich niedrige Wolken über den Sand. Erst als ich weitergehe und merke, dass ich draußen auf dem Meer gar keinen Horizont mehr erkennen kann, wird mir klar: Das zieht Nebel auf.
Ich wandere weiter, der Nebel wird ein wenig dichter. Zwischendurch meldet sich Elsa wieder und fragt, wo ich sei und ob ich schon den kleinen Strand erreicht hätte. Dort würde sie auf mich warten. Ich bin nicht sicher, welchen Strand sie meint, aber an ihr vorbei kann ich noch nicht sein. Wir tauschen immer häufiger Nachrichten aus, und Elsas Nachrichten werden immer drängender. Sie will wissen, ob es mir gut ginge, und beschreibt, dass der Weg hoch zur Straße führen würde, sie sei schon dorthin zurückgegangen, und ich solle dorthin kommen und sie treffen und bloß nichts riskieren. Hm, was meint sie? Was soll ich denn riskieren? Ich komme schließlich an einem kleinen Strand an, aber da ist keine Straße zu sehen. Ob Elsa doch ganz woanders wartet? Na ja, wenn wir uns verpassen ist es auch nicht schlimm, spätestens am Hotel sehen wir uns ja wieder. Denke ich und biege um das nächste Kap. Und jetzt weiß ich, warum Elsa sich Sorgen macht, denn ab hier ist der Nebel richtig dicht.
Ich finde Elsa dann auch tatsächlich ein paar Meter weiter, wo der Weg ein kleines Stück an der Straße entlangführt und lasse mich bei dem dichten Nebel gerne überreden, mit ihr zusammen die letzten 1 – 2 km an der Straße entlang zum Hotel zu gehen.
Das Hotel mit dem schlichten und zutreffenden Namen „La Pointe du Grouin“ liegt auf besagter Pointe du Grouin. Ich habe es gebucht, weil es zur Etappenplanung gepasst hat, aber auch wegen der tollen Lage, denn die Pointe du Grouin ist eine der längsten Landzungen der Gegend mit einem Vogelschutzgebiet und tollen Ausblicken auf die Inselwelt rund ums Kap.
http://www.brittanytourism.com/discover-our-destinations/saint-malo-mont-saint-michel-bay/unmissable-sites/la-pointe-du-grouinDavon sehen wir allerdings so gut wie nichts. Als wir im gegen vier Uhr am Hotel ankommen und uns umschauen, kann man gerade mal über die angrenzende Straße schauen, bevor die Sicht im Nebel endet. Ich muss lachen. Ja, genau dafür hatte ich hier extra die Zimmer mit direktem Meerblick und kleiner Terrasse reserviert.
Erst mal gönnen Elsa und ich uns auf der Terrasse des angrenzenden Lokals ein Bier und Elsa erzählt von ihrem Tag. Der Bus ist tatsächlich heute morgen dort aufgekreuzt, wo sie gewartet hat, und immerhin hat sie es überlebt, dass sie vorher schon versucht hat, den falschen Bus durch wildes Auf-die-Straße-Springen anzuhalten und ist wohlbehalten am Mont Saint Michel angekommen. Auch das Auto hat die Woche ohne uns schadlos überstanden. Auf dem Weg hierher hat Elsa sich schon ein wenig Cancale angeschaut, einen kleinen Ort, den ich morgen vormittag erreichen werde und der als Austern-Hauptstadt gilt.
Als wir anschließend in unsere Zimmer einchecken, stellen wir fest, dass die Qualitäten des Hotels tatsächlich vor allem in der besonderen Lage zu suchen sind. In den Zimmern muss man dagegen nicht viel suchen, die sind so klein, dass man sich seitlich zwischen Bett und Wand vorbeischieben muss. Witzigerweise handelt es sich um Doppelzimmer, wie auch die doppelte Ausstattung mit Handtüchern verrät. Elsa meint, dass man sich schon sehr lieben müsste, um gemeinsam in einem solchen Zimmer zu übernachten.
Um halb acht gehen wir wieder im benachbarten Lokal essen, wo wir bei dem nebligem Wetter beinahe die einzigen Gäste sind. Wir sind jedenfalls die Gäste, die am meisten Krach machen, denn irgendwann fangen wir an zu giggeln und können kaum noch aufhören. Vielleicht liegts am Champagner, den wir uns als Aperitif gönnen und der hier nur die Hälfte von dem kostet, was Elsa in Dinard bezahlt hat. Wir nehmen beide das Menü mit Fischsuppe und Schweinefilet und verbringen mal wieder einen vergnügten Abend.
Als ich schließlich ins Bett gehe, habe ich allerdings wieder eine Schrecksekunde: Die Monsterblase am linken Fuß musste ich heute morgen aufstechen, sonst hätte ich kein Blasenpflaster drüber kleben können. Jetzt sehe ich, dass die Blase auf dem besten Weg ist, sich für diese Behandlung zu rächen. Hm, mal schauen, ob ich morgen noch damit laufen kann. Und werde ich morgen überhaupt den Weg erkennen? Der Nebel wabert immer noch ums Hotel und sorgt für eine leicht gespenstische Stimmung.
Gute Nacht!